Gegründet 1947 Sa. / So., 31. Mai/ 1. Juni 2025, Nr. 124
Die junge Welt wird von 3011 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 30.05.2025, Seite 5 / Inland
Chemieindustrie in Ostdeutschland

Protest im mitteldeutschen Chemiedreieck

Mehr als 700 Beschäftigte demonstrieren gegen Stillegungspläne von Dow Chemical in Böhlen
Von Gudrun Giese
Protest_gegen_die_St_86163174(1).jpg
Chemiearbeiter beim Protest gegen die Stillegungspläne von Dow Chemical am Chemiepark Böhlen (28.5.2025)

Krisenstimmung fast überall – auch in der Chemieindustrie. Im sächsischen Böhlen protestierten mehr als 700 Beschäftigte von Dow Chemical und Unterstützer am Mittwoch gegen Stillegungspläne. Dazu aufgerufen hatte die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).

Zur politischen Mittagspause unter dem Motto »Never let me Down« waren neben Dow-Beschäftigten aus Böhlen und dem sachsen-anhaltischen Schkopau Kollegen der Infra Leuna, von Wacker Chemie, der Leag, Mibrag und Saale-Energie gekommen, um ihre Solidarität zu bekunden. Eine mögliche Stillegung von Anlagen hätte drastische Folgen für die »industrielle Zukunft einer ganzen Region«, machte der IG-BCE-Vorsitzende Michael Vassiliadis klar. Außerdem stünden Hunderte tariflich gut ausgestaltete Arbeitsplätze auf dem Spiel. Die Bundesregierung solle ihrer Ankündigung, die Industrie durch Senkung der Energiepreise zu entlasten, möglichst schnell Taten folgen lassen. Dow Chemical warnte er, vorschnell Anlagen oder Standorte aufzugeben, zumal der Konzern mit den Betrieben der Region noch schwarze Zahlen schreibe.

Ende April hatte der US-amerikanische Chemiekonzern angekündigt, weltweit Produktionsanlagen kritisch auf Profitabilität zu überprüfen. In Schkopau werden die Vorprodukte Chlor-Alkali und Vinyl für die PVC-Herstellung generiert. In einem Bericht von MDR Sachsen-Anhalt hieß es mit Verweis auf Dow-Gesamtbetriebsratschef Dieter Macke, dass es an Abnehmern für diese Grundstoffe fehle, da viele PVC-Hersteller in der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern ihr Geschäft aufgegeben hätten. Dow müsse nach Ägypten oder in asiatische Staaten exportieren, was erheblichen logistischen Aufwand bedeute, »der uns keine Marge mehr lässt, keinen Gewinn mehr bringt«. Auch Macke äußerte die Hoffnung auf Preissenkungen für Energie, Netzentgelte und die CO2-Abgabe. Perspektivisch müsse man an den Standorten zukunftsfähige Produkte herstellen.

Mit dem Vorliegen der Zahlen aus dem zweiten Quartal Ende Juli erwarten Beschäftigtenvertreter eine Entscheidung darüber, wie es weitergeht, hatte der Betriebsratsvorsitzende Andreas Zielke MDR Aktuell am Mittwoch gesagt. Die wahrscheinlichste Variante sei die Stillegung von Anlagen im Werk Böhlen, was Folgen für andere Standorte hätte. Bei der politischen Mittagspause setzten sich Beschäftigtenvertreter, der sächsische Wirtschaftsminister Dirk Panter (SPD), Landrat Henry Graichen (CDU) und DGB-Vorstandsmitglied Stefan Körzell für den kompletten Erhalt der Standorte ein. »Wir kämpfen gemeinsam für jeden Arbeitsplatz«, sagte Stephanie Albrecht-Suliak, IG-BCE-Vorsitzende im Landesbezirk Nordost. Das traditionsreiche Chemiedreieck sei ein industrieller Leuchtturm in der Region mit zentraler Bedeutung für den Strukturwandel.

Unterdessen meldete der Verband der Chemischen Industrie (VCI) überraschend gute Zahlen für das erste Quartal 2025. Sowohl Mengen als auch Umsätze seien gegenüber dem Vorquartal deutlich gesteigert worden. Mit Blick auf die Zollpolitik der US-Regierung befürchtet die Branche in nächster Zeit Rückschläge.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Bleiben im Depot: Elektromobile Dreiräder samt Briefsendungen (D...
    05.02.2025

    Streik als Warnsignal

    Tarifrunden: Beschäftigte bei Deutsche Post und im öffentlichen Dienst im ganztägigen Arbeitsausstand. Verdi bekräftigt Lohnplus
  • Extraschichten: Ackern, rackern, wenn andere schlafen oder freih...
    02.01.2025

    Atypisch ist für viele normal

    Junge Lohnabhängige und Frauen besonders häufig prekär beschäftigt. Atypische Arbeitszeiten überdurchschnittlich oft in Sachsen-Anhalt

                                                                   junge Welt stärken: 1.000 Abos jetzt!