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Aus: Ausgabe vom 30.05.2025, Seite 4 / Inland
Staatsgewalt

Noch Platz auf der Bank

Verden: Prozess gegen Daniela Klette in überdimensionierter ehemaliger Reithalle fortgesetzt. Anwälte fordern Verlegung
Von Ariane Müller, Verden
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Zwei Justizbeamte beobachten am Mittwoch das Geschehen in der umgebauten Reithalle

Mit dem zehnten Verhandlungstag ist am Mittwoch der Prozess gegen Daniela Klette, nach Ansicht der Bundesanwaltschaft ehemaliges Mitglied der 1998 aufgelösten RAF, vor dem Landgericht Verden fortgesetzt worden. Für diesen Zweck wurde eine ehemalige Reithalle in Verden-Eitze zu einer Art »Festung« umgebaut und für rund zwei Jahre angemietet, weil das Gebäude des Landgerichts nicht den Sicherheitsanforderungen der Bundesanwaltschaft entsprach. Kostenpunkt: 3,6 Millionen Euro. Die ersten Prozesstage fanden noch im Staatsschutzsaal des Oberlandesgerichts in Celle statt. Vorgeworfen werden Klette von der Staatsanwaltschaft Verden 13 Aktionen zur Geldbeschaffung.

Der nun erstmals genutzte neue Gerichtssaal ist völlig überdimensioniert. Auch die Anklagebank. Es könne doch sein, dass in den nächsten Monaten eines von den beiden noch gesuchten angeblichen Ex-RAF-Mitglieder Volker Staub und Burkhard Garwig festgenommen wird, so die Staatsanwältin. Eine ziemlich abwegige Überlegung, denn wenn ein weiterer Angeklagter in diesem Kontext hier vor diesem Gericht stehen würde, müsste der Prozess wieder auf Null gestellt werden. Die Vertreterinnen und Vertreter der Medien sowie die Zuschauerinnen und Zuschauer sind durch eine Glasfront räumlich und akustisch getrennt. Bewegen sich im Eingangsbereich die Justizbeamten, spiegelt sich das in der Glasfront, so dass die Prozessbeteiligten nur noch schwer zu sehen sind. Die Akustik durch die Sprechanlage auf beiden Seiten ist eine Katastrophe. Die Stimmen der Prozessbeteiligten hallen, sind teilweise nicht zu verstehen.

Zum Prozessbeginn – und wenn eine Verhandlungspause beendet ist – ertönt über die Lautsprecheranlage ein Gong mit einer Computerstimme: »Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein.« Das erinnert viele an eine Durchsage in Schulen oder in Bahnhöfen. Bei einer solchen Durchsage muss Klette lachen.

Die Rechtsanwälte Undine Weyers, Lukas Theune und Ulrich von Klinggräff hatten einen Antrag beim Gericht eingereicht: Verlegung in das Landgericht Verden. »Denn der Ausbau dieser Reithalle zu einem Hochsicherheitsbereich suggeriert in der Öffentlichkeit eine enorme Gefährlichkeit, lässt Erinnerungen an Orte wie Stammheim – bewusst oder unbewusst – anklingen. Es geht damit also eine deutliche Vorverurteilung unserer Mandantin, die allein durch die Wahl des Verhandlungsortes als besonders gefährlich oder terroristisch gebrandmarkt werden soll, einher«, heißt es darin. »Dieser Saal ist Ausdruck eines völlig absurden, durch nichts zu rechtfertigen Sicherheitswahns. Vor wem hat man hier Angst? Vor unserer Mandantin? Vor irgendwelchen Kommandos, die fast 30 Jahre nach Auflösung der RAF hier einen Befreiungsversuch unternehmen könnten?« heißt es in einer Ergänzung von Rechtsanwalt Klinggräff. Am nächsten Prozesstag will die Kammer dazu eine Entscheidung verkünden.

Nach dem Antrag gab Klette eine Erklärung ab. Es sei empörend, dass für diesen Umbau 3,6 Millionen Euro ausgegeben worden seien. Es solle Stimmung in der Bevölkerung gegen sie gemacht werden: »Für die gibt’s Geld«, wo es doch an allen Ecken und Enden und vor allem für soziale Belange fehlt. Alle Anstrengungen des Staates würden auf die Militarisierung und Kriegstüchtigkeit gerichtet. Nach außen die Kriegstreiberei, die Aufrüstung, die Unterstützung des Völkermords in Gaza; nach innen durch die Erweiterung der Polizeibefugnisse zur Überwachung und Verfolgung von Widerstand, unterstützt durch den technologischen Ausbau des Fahndungsapparates.

Die Staatsanwältin regte sich mächtig über das Statement von Klette auf. Dieser Prozess sei ein ganz normales Strafverfahren, politische Erklärungen hätte da nichts zu suchen. Unbeeindruckt davon zeigte sich ein kleiner Vogel: Er überwand unbehelligt alle Sicherheitsvorkehrungen und zwitscherte aufgeregt im Publikumsbereich. Zwei Polizeibeamtinnen griffen sich das Vöglein und setzten es draußen wieder in Freiheit.

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