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Aus: Ausgabe vom 30.05.2025, Seite 2 / Inland
Rechtsruck in der Bezirkspolitik

»Das geht bis in die lokale Ebene runter«

Berlin: Bezirksamt Neukölln veröffentlicht Bericht über rechte Gefahr, nachdem CDU und AfD ihn zurückziehen ließen. Ein Gespräch mit Carla Aßmann
Interview: Gitta Düperthal
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Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD) bei der Vorstellung der neuen Imagekampagne des Bezirks (19.5.2025)

Brandanschläge gegen linke Initiativen und andere Angriffe durch Neonazis, die mit Hitlergruß durch den Berliner Bezirk Neukölln ziehen: All das ist Thema eines 61 Seiten umfassenden Berichts zum »Rechtsextremismus«. Nachdem das Papier auf Druck von CDU und AfD zurückgezogen worden war, hat das Bezirksamt es am Dienstag online wieder zur Verfügung gestellt. Warum sollte das verhindert werden?

Die Neuköllner CDU kritisierte, dass im Bericht linke Initiativen zu Wort kamen. Insbesondere ein Satz des »Bündnisses gegen rechts in Neukölln« darin missfällt: »Es gibt in Neukölln ein Milieu, in dem Nazis, Fußball-Hooligans, AfDler bis hin zu konservativen Akteuren zusammenkommen.« Zu Recht hatte sich die CDU mit letzteren gemeint gefühlt: Nach wie vor gibt es Verbindungen der Neuköllner CDU ins Neonazimilieu.

Linken eine Plattform zu geben, will die CDU verhindern. Das kennen wir schon von deren Anfrage im Bundestag zur Finanzierung von gemeinnützigen Nichtregierungsorganisationen, von denen mehrere zu Demonstrationen gegen rechts aufriefen. Die Neuköllner CDU hatte etwa dafür gesorgt, dass dem Festival »Offenes Neukölln« Fördergelder gestrichen wurden, weil angeblich Linksextreme dort mitwirken. So taktiert die CDU, um Linke als extrem zu verunglimpfen. Weiterhin hegte sie Bedenken, dass die AfD gegen den Bericht klagen könnte.

Was bringt die erneute Veröffentlichung des Berichts?

Der Antrag der Linksfraktion für dessen Wiederveröffentlichung war zunächst am Nein von SPD, CDU und AfD gescheitert. Dass er trotz der Angriffe der CDU nun doch öffentlich ist, ist zum einen ein Erfolg der antifaschistischen Initiativen Neuköllns, die ihrem Protest am Tag der Sondersitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 14. Mai Ausdruck gaben, und zum anderen einer der Linke-Jugendstadträtin Sarah Nagel, die ihn als Beauftragte für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit publiziert hat. Es ist ein Zeichen, dass das Bezirksamt sich auf die Seite der Initiativen gegen rechts im Bezirk stellt.

Welche Bedeutung hat der CDU-Missbilligungsantrag gegenüber Nagel?

Er war eine Art Rüge, die mit einer Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei abgeschmettert wurde. Die CDU begründete sie unter anderem mit Aussagen im Bericht wie der Kritik an »Unfähigkeit und mangelnder Tatkraft der Sicherheitsbehörden, sich dem rechten Terror gegen zivilgesellschaftliche Akteure anzunehmen«; oder etwa, dass »das Polizeiversagen nicht unter den parlamentarischen Teppich gekehrt werden« dürfe und »die Abschaffung des Verfassungsschutzes mit Nachdruck betrieben werden« müsse.

Inwiefern waren die Proteste erfolgreich?

Bezirksbürgermeister Martin Hikel von der SPD brauchte offenbar den öffentlichen Druck aus der Zivilgesellschaft, um sich ein Herz zu fassen und als Verwaltung Haltung zu zeigen gegen die rechte Gefahr – statt sich aus Angst vor Klagen wegzuducken.

In Neukölln gibt es unter 54 Abgeordneten nur drei von der AfD. Wie weit hat sich die Debatte nach rechts verschoben?

Parteien wie CDU, SPD und die Grünen haben rechte Narrative und Positionen der AfD übernommen. Das geht bis in die lokale Ebene runter. Offiziell gibt es keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD in Neukölln. Aber die CDU macht rechte Politik, wenn es darum geht, rechte Positionen zu verharmlosen sowie Linke zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. Bei Entschließungsanträgen, die sich zur Gefahr gegen rechts positionierten, stimmte die CDU oft dagegen.

Einige haben am Bericht auszusetzen, dass er in der von der Jugendstadträtin veröffentlichten Form »weichgespült« sei. Teilen Sie diese Kritik?

Der Bericht ist eine Veröffentlichung der kommunalen Verwaltung. Das hat einen anderen Duktus als etwa eine Publikation in einer linken Zeitung. In Absprache mit den Verfassern wurde etwa die Aussage, »Teile der Neuköllner CDU« seien mit dem extrem rechten Milieu dort in Verbindung, abgeschwächt in: Es seien »konservative Akteure«. Verheimlicht oder beschönigt wurde aber grundsätzlich nichts von dem, was die Initiativen geschrieben haben.

Carla Aßmann (Die Linke) ist Fraktionsvorsitzende in der Bezirksverordnetenversammlung Berlin-Neukölln

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