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Aus: Ausgabe vom 28.05.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Neoliberale Neuordnung

Ausverkauf Syriens

Privatisierungswelle droht Armut und soziale Ungleichheit zu verschärfen. Weltbank spielt mit
Von Wiebke Diehl
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Al-Scharaa spricht zu den Syrern: Seine neoliberalen Reformen versprechen nichts Gutes (Damaskus, 14.5.2025)

Bereits einen Monat nach ihrer Machtübernahme am 8. Dezember erklärten Funktionäre der Terrororganisation Haiat Tahrir Al-Scham (HTS) von Abu Mohammed Al-Dscholani (bürgerlich Ahmed Al-Scharaa), man habe »weitreichende Pläne« zur Verkleinerung der staatlichen Behörden und zur Schaffung einer »wettbewerbsorientierten freien Marktwirtschaft«. Unter anderem sollten Tausende »Phantomangestellte« entlassen werden.

Längst läuft die Privatisierung staatlicher Unternehmen genau wie die Entlassung eines Drittels der Beschäftigten im öffentlichen Sektor, weshalb in ganz Syrien die Unzufriedenheit wächst. Hinzu kommt die Abschaffung der staatlichen Subventionen für Brot, Benzin, Gas und Heizöl. Allein der Preis für Brot hat sich seither verzehnfacht. Kurz bevor er zum Weltwirtschaftsforum in Davos fuhr, kündigte »Außenminister« Asaad Hassan Al-Schaibani gegenüber der Financial Times an, auch Syriens Häfen und Fabriken, unter anderem im Öl-, Baumwoll- und Möbelsektor, würden privatisiert. Man werde »öffentlich-rechtliche Partnerschaften prüfen, um Investitionen in Flughäfen, Eisenbahnen und Straßen zu fördern«.

Auch Baschar Al-Assad hat, als er im Jahr 2000 an die Macht kam, neoliberale Reformen eingeleitet. Die Folgen waren verheerend: Der Wohlstand der breiten Bevölkerung sank dramatisch, während sich der Reichtum in den Händen weniger konzentrierte. Die Vertiefung der sozialen Ungleichheit war einer der Faktoren, die die vom Westen, den Golfstaaten, der Türkei und Israel zu einem Regime-Change-Krieg eskalierten Proteste vom Frühjahr 2011 begünstigten. Nach 14 Jahren Krieg und umfassenden Sanktionen steht Syrien heute noch deutlich schwächer da als 2001. Zwischen 2011 und 2024 ist das Bruttoinlandsprodukt um ein Drittel gesunken. Die Preise stiegen um das 200fache, die Hälfte der produktionsrelevanten Infrastruktur ist außer Betrieb. 90 Prozent der Syrer leben in Armut – 66 Prozent sogar in extremer Armut. Schätzungen zufolge wird der Wiederaufbau des Landes zwischen 250 und 400 Milliarden US-Dollar kosten.

Die neuen Machthaber folgen den Diktaten des Westens nicht nur in ihrer Israel-Politik. Auch wirtschaftlich sind sie bereit, das Land und die Interessen seiner Bevölkerung zu verkaufen. Die Weltbank ist bereits in Syrien aktiv – unter dem Deckmantel technischer Kooperation. Längst sind die Kontakte zur HTS-»Regierung« intensiviert worden, nachdem sich Saudi-Arabien und Katar, die beide an der Förderung des Kriegs in Syrien beteiligt waren, bereit erklärt haben, Damaskus› Zahlungsrückstände in Höhe von mehr als 15,5 Millionen US-Dollar zu begleichen.

Zwar erklären die De-facto-Machthaber in Damaskus bislang, keine internationalen Kredite aufnehmen zu wollen, sondern sich statt dessen auf interne »Reformen« zu konzentrieren. Angesichts der immensen Kosten des Wiederaufbaus dürfte diese Zusage aber immer mehr an Gültigkeit verlieren. Vieles deutet darauf hin, dass Mitarbeiter der Weltbank schon vorläufige Bewertungen der syrischen Infrastruktur vornehmen, Vermögensregister überprüfen und sogar vertrauliche Sitzungen mit Vertretern von Ministerien abhalten. Zwar läuft all dies bislang unter dem Label »technische Unterstützung«, was in der Vergangenheit aber oft den Grundstein für spätere Kreditpakete legte. Die waren in den meisten Fällen an neoliberale Diktate und »Sparvorgaben« geknüpft – und an politische Zwänge wie etwa die »Normalisierung« der Beziehungen mit Israel.

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