Am fünften Tag sollst du ruhen
Von Niki Uhlmann
Mit der Parole »40 Stunden Arbeit sind genug« blies der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) am 1. Mai 1955 zum Kampf für die Fünftagewoche. »Samstags gehört Vati mir«, hieß es angesichts des wirtschaftlichen Aufschwungs der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg. Von Wachstum und gewerkschaftlicher Kampfeslust kann heute keine Rede mehr sein. Im dritten Rezessionsjahr in Folge geben die sozialpartnerschaftlich orientierten Bürokraten der einstigen Arbeiterkampforganisationen augenscheinlich klein bei.
»Eine Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich steht aktuell nicht auf der gewerkschaftlichen Forderungsliste«, räumte die Erste Vorsitzende der IG Metall (IGM) Christiane Benner am Dienstag gegenüber Bild ein. »Sinnvoll« sei sie dennoch. Nur spüre man »gerade in vielen Betrieben die angespannte wirtschaftliche Situation«, sehe sich damit konfrontiert, dass die Kapitalseite die Arbeitszeit »auf Kosten der Beschäftigten« von sich aus verkürzt. Es brauche »schnell Investitionen von der Politik, Entlastung der Bürger und Standorttreue von den Unternehmen«. Dass solche Forderungen nicht durch Bitten, sondern durch Streik, also durch kollektive Arbeitsverweigerung, erfüllt werden, hat der Gewerkschaftsapparat vergessen.
Bei den Gewerkschaften sei durchgesickert, »dass es wichtig ist, Standorte für Investoren attraktiver zu gestalten«, zitierte Bild Christoph Schröder vom kapitalnahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Attraktiv meint heute, dem Kapital einzuräumen, aus dem Heer hiesiger Lohnabhängiger zusätzlichen Mehrwert herauszupressen. Im März hatten 94 Prozent der deutschen Konzerne einer Umfrage des IW zufolge angegeben, dass bei einer flächendeckenden Einführung der Viertagewoche mit vollem Lohnausgleich der Verlust von Wertschöpfung, gar von internationaler Konkurrenzfähigkeit drohe.
In schlechter Verfassung präsentieren sich die deutschen Unternehmen aber auch ganz ohne gewerkschaftlichen Druck. Die Bundesagentur für Arbeit bestätigte die herrschende Misere am Dienstag einmal mehr: Im Mai sei die Nachfrage nach Arbeitskräften in nahezu allen Wirtschaftszweigen der BRD deutlich gesunken. »Ohne Trendwende bei der wirtschaftlichen Entwicklung wird die Arbeitslosigkeit weiter zunehmen«, kommentierte Arbeitsmarktexperte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Umgekehrt kann geschlossen werden: Die Entwicklung der Produktivkräfte – von der die Entwicklung der Reallöhne schon seit Jahren abgekoppelt ist – setzt immer mehr menschliche Arbeitskraft frei, würde die Streichung eines Arbeitstags also locker möglich machen. Um so wichtiger wären Gewerkschaften, die Lohnabhängige hinter dieser Forderung versammeln.
Vollständig wollen sich die Gewerkschaften ihrer historischen Aufgabe aber nicht entledigen. Der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke beschwichtigte bei Bild: »Angesichts der anhaltend hohen Arbeitsbelastung« werde man sich für »mehr Entlastung, insbesondere durch zusätzliche freie Tage« einsetzen. Erinnert sei hier daran, dass der Achtstundentag 1918 – kurz nach dem Ersten Weltkrieg – unter dem Eindruck einer starken sozialistischen Arbeiterbewegung als Zugeständnis gesetzlich verankert wurde. Die laufende Arbeitszeitdebatte und der drohende Sozialabbau werden vor dem Hintergrund der Maximalaufrüstung geführt.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (27. Mai 2025 um 20:57 Uhr)Arbeit galt in der abendländischen Tradition lange als Last – bereits im biblischen Mythos wird sie als Strafe für den Sündenfall beschrieben. Dennoch hat sich über Jahrhunderte ein gegenteiliger Wertewandel vollzogen: Arbeit wurde zur moralischen Pflicht erhoben, zur Voraussetzung für gesellschaftliche Anerkennung. Diese Haltung durchzog nicht nur das Bürgertum, sondern prägte auch die Arbeiterbewegung, die im 19. und 20. Jahrhundert nicht die Abschaffung, sondern das Recht auf Arbeit forderte – ein Ausdruck dafür, wie stark der Arbeitsbegriff ideologisch überhöht wurde. Heute stehen wir vor der paradoxen Situation, dass Produktivität und Automatisierung es grundsätzlich erlauben würden, Arbeitszeiten zu verkürzen – ohne Wohlstandsverluste. Dennoch begegnen viele dieser Idee mit Skepsis. Gewerkschaften verweisen auf wirtschaftliche Unsicherheit, Arbeitgeber auf die Gefährdung von Wettbewerbsfähigkeit. Dabei belegen Studien – etwa der OECD oder von Thinktanks wie Autonomy im Vereinigten Königreich –, dass kürzere Arbeitszeiten nicht zwangsläufig zu Produktivitätseinbußen führen, im Gegenteil: Sie können Gesundheit, Motivation und Effizienz fördern. Dass die Gewerkschaften trotz dieser Argumente zögern, die Viertagewoche offensiv zu fordern, zeigt den Druck, unter dem sie stehen – ökonomisch wie politisch. Dabei wäre gerade jetzt eine stärkere Positionierung wichtig: Denn die gesellschaftliche Frage lautet nicht mehr nur, wie viel Arbeit wir brauchen, sondern wie wir mit der überflüssig werdenden Arbeit sozial verantwortlich umgehen.
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