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Aus: Ausgabe vom 27.05.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Explosiv wie kein anderer

Vor der Abschlusswoche des Giro d’Italia: Isaac Del Toro hat seinen Gesamtvorsprung weiter ausgebaut
Von Holger Römers
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Isaac Del Toro (l.) federführend

Beim Giro d’Italia bot sich den Radsportfans am Sonntag ein merkwürdiges Bild: Als am schwersten Anstieg Egan Bernal (Ineos Grenadiers) aus dem Peloton angriff, eilte der Gesamtführende Isaac Del Toro (UAE Team Emirates – XRG) sofort hinterher. Während Richard Carapaz (EF Education – Easypost), Thymen Arensman (Ineos Grenadiers) und Derek Gee (Israel – Premier Tech) dazustießen, hatte Primož Roglič (Red Bull – Bora – Hansgrohe) im Fahrerfeld bald 20 Sekunden Rückstand. Doch der war schnell wieder aufgeholt – was der slowenische Topfavorit kurioserweise niemand anderem verdankte als Del Toros Kollegen, die hartnäckig Nachführarbeit leisteten. Mit dieser schizophrenen Taktik wollte das UAE Team seinem im Peloton verbliebenen Kapitän Juan Ayuso offenbar die Chance auf den Girosieg wahren – auch wenn jeden Tag wahrscheinlicher wird, dass statt des 22jährigen Spaniers der aktuelle mexikanische Träger des Rosa Trikots der Mannschaft den Gesamterfolg bescheren könnte.

Als am letzten Berg dieser 15. Etappe Carapaz in die Offensive ging, wurde Roglič dann als einziger der Top-Ten-Plazierten noch einmal abgehängt. Aber trotz eigener zahlenmäßiger Überlegenheit überließ UAE es nun anderen Teams, in der Favoritengruppe aufs Tempo zu drücken, während der 32jährige Spanier Carlos Verona (Lidl – Trek) solo einem Ausreißersieg entgegenfuhr. Das spitzt die Frage zu, wie angeschlagen Ayuso sein mag, seitdem er vor einer Woche, als auf toskanischem Schotter mehrere Fahrer zu Sturz kamen, sein Knie verletzt hatte.

Ähnliche Fragen betrafen Roglič, der in der Toskana selbst zu Boden gegangen war. Als das Rennen am Sonnabend einen Abstecher in sein Heimatland machte, verursachte regennasses Pflaster auf dem abschließenden Rundkurs um Nova Gorica eine erneute Karambolage. Dabei schien der 35jährige glimpflich davonzukommen, auch wenn er sich auf den verbleibenden 23 Kilometern – wie Ayuso – gut 50 Sekunden Rückstand auf andere Klassementfahrer einhandelte, die – wie del Toro – ziemlich unbehindert weitergefahren und kurz hinter dem aus einer Ausreißergruppe übrig gebliebenen Tagessieger, dem 30jährigen Dänen Kasper Asgreen (EF Education – Easypost), ins Ziel gekommen waren. Am Sonntag wurde nun freilich klar, dass Roglič sich wohl doch weitere Blessuren zugezogen hatte, die seinen Rückstand in der Gesamtwertung auf knapp vier Minuten anwachsen ließen. Dementsprechend sanken die Chancen auf eine Wiederholung des Girosieges von 2023, so dass sein Sportdirektor über einen Ausstieg am montäglichen Ruhetag spekulierte.

Noch am Dienstag hatte Roglič beim Zeitfahren, das vom 26jährigen niederländischen Spezialisten Daan Hoole (Lidl – Trek) gewonnen wurde, den Rückstand auf Ayuso verringern können, der seinerseits gegenüber Del Toro Zeit gutmachte. Seitdem hat der 21jährige Mexikaner allerdings seinen Gesamtvorsprung stetig ausgebaut, selbst wenn sich im Etappenziel kein Abstand zu direkten Konkurrenten ergab. So hat der Träger des Rosa Trikots am Donnerstag, bevor der 23jährige Niederländer Olav Kooij (Team Visma – Lease a Bike) sich als Favorit den Sprintsieg sicherte, als einziger Klassementfahrer eine Zeitbonifikation im Zwischensprint eingestrichen. Am Freitag hielt sich Del Toro dagegen bei gleicher Gelegenheit zurück, um Ayuso eine viersekündige Gutschrift zu erlauben und sich mit der Hälfte zu begnügen – bevor er hinter dem zum vierten Mal erfolgreichen Mads Pedersen (Lidl – Trek) selbst Etappendritter wurde. Das ergab nicht nur zusätzliche vier Sekunden Zeitbonifikation, sondern auch weitere drei Sekunden Vorsprung, da kein direkter Konkurrent im langen Bergaufsprint ähnlich explosiv war. Am Mittwoch wäre womöglich sogar mehr als der zweite Etappenplatz drin gewesen, wenn der Mexikaner am Fuße des letzten, moderaten Anstiegs nicht erst mit Verzögerung auf die mit dem Tagessieg belohnte Attacke des 31jährigen Ecuadorianers Carapaz reagiert hätte. Das Zögern war wohl der Rücksicht auf Ayuso geschuldet, der denn auch vorübergehend ins Hintertreffen geriet, als die anderen Klassementfahrer von Del Toro aus der Reserve gelockt wurden.

Trotzdem könnte der aktuelle Gesamtdritte Ayuso noch zum Zuge kommen, sollte der knapp anderthalb Minuten vor ihm plazierte Del Toro in der von Gebirgsetappen geprägten Schlusswoche Schwächen zeigen. Einem der beiden sollte jedenfalls das Weiße Trikot des besten Nachwuchsfahrers sicher sein, da mit Simon Yates (Team Visma – Lease a Bike), dem britischen Vuelta-Sieger von 2018, ein 32jähriger Routinier Rang zwei belegt, wohingegen auf Platz vier der nur ein Jahr jüngere Carapaz mit insgesamt zwei Minuten Abstand folgt.

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