Eine kalte Welt
Von Peter Michel
Die Wirklichkeit wurde in den Künsten der DDR nicht beschönigt, das war spätestens seit Beginn der 70er Jahre zu beobachten – vor allem bei jüngeren Künstlern. Als Wolfgang Peuker 1981 sein Bild »Wände« malte, war er 36 Jahre alt. In einem zellenartigen Raum zwischen eng zusammengeschobenen Wänden war ein nacktes Paar zu sehen. Nacktheit wirkte hier nicht sinnlich – sie war ein Zeichen für Gewalt, für Ausgeliefertsein und Wehrlosigkeit. Ein Mann schlägt eine Frau. Aggressionen im privaten Bereich sind meist tabu. Wolfgang Peuker gehörte zu den Künstlern, die auf Defizite in einer Gesellschaft hinwiesen, die sich humanistische Ziele gesetzt hatte und immer darum ringen musste, sie zu erreichen. Der Prozess der Menschwerdung braucht solche Mahnungen.
Wolfgang Peuker wurde am 27. Mai 1945 in Aussig (Heute Ústí nad Labem) geboren. In Halle (Saale) besuchte er von 1952 bis 1962 die Schule und wurde bis 1965 zum Offsetdrucker ausgebildet. Gleichzeitig studierte er an der Abendakademie der Leipziger Kunsthochschule. Bis 1970 folgte dann ein reguläres Studium bei Harry Blume, Werner Tübke, Hans Mayer-Foreyt, Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer. Die beiden letztgenannten Lehrer werden es wohl gewesen sein, die seinen realistisch-kritischen Blick auf die Wirklichkeit schärften. Es folgten sieben Jahre freischaffende Tätigkeit in Leipzig und Zwickau, bevor man ihn als Lehrer an die Leipziger Hochschule und ab 1983 an die Kunsthochschule Berlin-Weißensee holte. Unsere Gespräche habe ich in guter Erinnerung. Er erzählte mir, dass er sich 1985 von seiner ersten Frau Annette Peuker-Krisper getrennt und Annette Lunow geheiratet hatte, die unter dem Pseudonym Paula Kress malte. Sie starb schon 1996. Er hatte ein beeindruckendes Porträt von ihr gefertigt, das sie vor dem Brandenburger Tor zeigt und das wir zuletzt in einer Ausstellung in der Berliner Marienkirche sahen.
Sein großformatiges Brigadebild »An der Außenwand« ist ein unheroisches, ehrliches, von der Anspannung der Arbeit in einer Betonbauerbrigade zeugendes Werk. Gerade an solchen Gemälden wird überdeutlich, dass eine sozialistisch-realistische Einheitskunst in der DDR nicht existierte und dass Künstler in der DDR selbstbewusst auf die Realitäten schauten.
Gemeinsam mit Sighard Gille besuchte Wolfgang Peuker 1979 Spanien, um sich intensiv mit Werken von El Greco, Francisco de Goya und Diego Velázquez zu beschäftigen. Diese Reise diente auch der Vorbereitung der Arbeit an der künstlerischen Ausgestaltung des Neuen Gewandhauses in Leipzig. Wer heute auf dessen Hauptfassade schaut, sieht durch das Glas die riesige Bemalung des Unterbodens des Zuschauerraumes. Bei abendlicher Beleuchtung ist die Wirkung beeindruckend. Dieses umfangreiche Gemälde sollte ursprünglich von Gille und Peuker gemeinsam gestaltet werden. Der Auftrag ging dann aber nur an Gille. Tritt man durch den Haupteingang, erblickt man eine braune Bretterwand, hinter der sich eine Wandmalerei Peukers verbirgt. Dieses Bild wurde noch vor seiner Vollendung überstrichen und mit Holz verkleidet. Wolfgang Peuker war den Erwartungen des Auftraggebers nicht nachgekommen, ein Werk zu schaffen, das die Besucher auf einen festlichen Abend einstimmt. Seine Figuren waren – vielleicht angeregt durch die »schwarzen Bilder« Goyas – nicht in leuchtenden Farben gemalt, strahlten keine Freude aus und stießen auf Ablehnung. Selbst Kurt Masur, der seit 1970 Gewandhaus-Kapellmeister war, konnte sich für das Bild nicht erwärmen, so dass es schließlich verschwand. Es waren keine politischen, sondern ästhetische Gründe, die seiner Ablehnung zugrunde lagen. Auch nach 1989/90 war Masur der Meinung, mit einer neuen Diskussion über das Werk nütze man dem Maler Peuker nicht. Dieser hatte bis zu seinem Tod 2001 versucht, das Bild freilegen und restaurieren zu lassen. Bis heute ist es nicht zu sehen.
An öffentlichen Ehrungen für Peuker fehlte es dennoch nicht. Er schuf weitere Auftragswerke, u. a. Deckengemälde und Tondi (Rundbilder) für den Bachsaal des Bosehauses in Leipzig sowie für das Schloss Allstedt. Von 1989 bis 2001 entstand eine Folge von Berlin-Bildern, die sich vor allem mit klassizistischer Baukunst auseinandersetzt, in distanzierten Farben gemalt ist, nur wenige Darstellungen menschlicher Figuren zeigt und kritisch mit den Überbleibseln faschistischer Architektur umgeht. Es ist eine kalte Welt, die sich da auftut. Diese Bilder wurden zum zentralen Werk seiner letzten Jahre. Je näher sein Sterben rückte, um so düsterer wurden sie.
Wer sich heute an Gemälde Wolfgang Peukers erinnert, dem fallen neben den bereits genannten seine »Brigade Hagemeister« von 1971 und sein 1976 entstandenes Gemälde »Am Freitagabend« ein, das einen erschöpften Arbeiter beim Bier vor dem Fernsehapparat zeigt. Immer wieder beschäftigte er sich auch mit Adaptionen barocker Malerei. Sein Bild »Selbst mit Smoking« (1985) zeigt ihn vor dem weiten Panorama Berlins.
Die Nachricht von seinem frühen Tod kam völlig unerwartet. Er starb am 9. Mai 2001 im Alter von 56 Jahren in Groß Glienicke. Wenn vom Wachsen einer Generation junger Künstler in der DDR die Rede ist, die in der deutschen Kunstgeschichte eine gewichtige Rolle spielt, dann darf man Wolfgang Peuker nicht vergessen. Das Schicksal war nicht gut zu ihm.
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