Der Norden profitiert doppelt
Von Ralf Wurzbacher
Der frühere Papst Franziskus wollte das Elend der Welt nicht länger akzeptieren. Für 2025, das von ihm ausgerufene Heilige Jahr (lat. annus sanctus), hatte er von den Reichen und Mächtigen nachdrücklich einen Schuldenschnitt für die armen und ärmsten Länder der Erde gefordert. Bei seiner Neujahrsansprache sagte er: »Kein Mensch, keine Familie, kein Volk soll von Schulden erdrückt werden.« Franziskus ist gegangen, aber die Not ist geblieben. Und sie bleibt, solange die internationale Gemeinschaft nicht endlich wirksam gegensteuert. Wie aus dem am Montag vom Bündnis Erlassjahr.de und dem katholischen Hilfswerk Misereor vorgelegten »Schuldenreport 2025« hervorgeht, verharrt die Last an Verbindlichkeiten des sogenannten globalen Südens auf »krisenhaft hohem Niveau«. In mindestens 47 der 198 untersuchten Staaten sei davon auszugehen, dass aufgrund der Lage Menschenrechte verletzt würden.
Zu den betreffenden Ländern zählen zum Beispiel Pakistan und Kenia sowie Sri Lanka und Suriname. Die ersten beiden waren bisher zu möglichen Umschuldungsverhandlungen nicht zu bewegen, während letztere den Prozess schon durchlaufen haben. Woraus ersichtlich wird: Die sogenannte Hilfe hilft nicht wirklich. So hat die politische Koordinatorin von Erlassjahr.de, Kristina Rehbein, im Kapitel »Neue Lösungen – alte Muster?« nachgezeichnet, wie wenig nachhaltig die sogenannte Post-Covid-Schuldenarchitektur gewirkt hat. Die Maßnahmen hätten allenfalls »kurzfristig Erleichterung« geschaffen und böten »langfristig keine sozial und wirtschaftlich gerechte Lösung«, weil sie genuine Gläubigerinteressen bedienten und die Rückzahlungsfähigkeit zulasten sozialer Ausgaben und der ökonomischen Erholung priorisierten. Die Folge: Investitionen in Bildung oder Gesundheit werden gekürzt, Arbeitsrechte vernachlässigt, und die Bekämpfung von Armut, Hunger und Klimakrise gerät noch mehr ins Hintertreffen.
Die knapp 50 am stärksten gebeutelten Staaten müssten 15 Prozent und mehr ihrer Staatseinnahmen für Zins- und Tilgungszahlungen an ausländische Gläubiger abführen, heißt es in der Analyse. »Ihr fiskalpolitischer Handlungsspielraum ist dadurch massiv eingeschränkt«, insgesamt litten in den fraglichen Ländern etwa 231 Millionen Menschen unter »extremer Armut«, erklärte am Montag Klaus Schilder, Experte für Entwicklungsfinanzierung bei Misereor. »Das sind rund 18 Prozent der Bevölkerung und damit gut doppelt so viele wie im weltweiten Durchschnitt. Das ist ein echtes Armutszeugnis im 21. Jahrhundert.« Weitere 28 Länder gelten laut der Studie als »hoch belastet«, in 13 weiteren bestehe ein »latentes Belastungsrisiko«. Abhilfe müssten eigentlich weitreichende Entschuldungsprogramme leisten, die alle Gläubiger einschließen: Staaten, multilaterale Finanzinstitutionen sowie nicht zuletzt private Geldgeber, also Banken, Investmentfonds und Versicherungen. Gerade letzteren gelingt es immer wieder, entsprechende Initiativen zu unterlaufen. Dabei profitieren sie vom Leid der Leidtragenden gleich doppelt.
2024 wurde im globalen Maßstab so viel Geld wie noch nie in Tilgung und Zinsen gesteckt. Mehr als eine Milliarde US-Dollar pro Tag flossen in den Schuldendienst. In ihrer Abhängigkeit werden die fraglichen Regierungen obendrein zur Öffnung der Märkte und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zum Wohle ausländischer Konzerne genötigt, wodurch das Leid der Einheimischen noch zunimmt. Erst im April hatte die Afrikanische Union angesichts einer »beispiellosen Finanzierungskrise« der Gesundheitsversorgung Alarm geschlagen. Beklagt werden neben der hohen Schuldenlast Kürzungen von US-Hilfen und anderen westlichen Unterstützungsprogrammen. Ohne entschlossenes Gegensteuern sei mit »jährlich zwei bis vier Millionen zusätzlichen vermeidbaren Todesfällen« zu rechnen.
Für Erlassjahr.de und Misereor bieten sich 2025 »einmalige Chancen« zur Überwindung der Krise. Ende Juni findet in Sevilla die 4. Internationale Konferenz für Entwicklungsfinanzierung (FfD4) statt. Die Bundesregierung müsse sich klar positionieren und in den Vorbereitungen »Reformvorschläge aus dem globalen Süden aufgreifen«. Der Appell geht direkt an die Adresse von Neukanzler Friedrich Merz (CDU), dessen früherer »Arbeitgeber« Blackrock massiv an den Nöten der Armenhäuser der Erde verdient. Der Beisetzung Franziskus’ war der sogenannte Christdemokrat indes ferngeblieben.
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