Weder Raketen noch Rekruten
Von Reinhard Lauterbach
Die Ukraine stößt im Krieg gegen Russland offenbar in wachsendem Maße an Grenzen des Nachschubs. So schrieb das Wall Street Journal am Wochenende, dass die Kiewer Kampagne zur Gewinnung freiwilliger Soldaten zwischen 18 und 24 Jahren weitgehend fehlgeschlagen sei. Seit Beginn der Aktion im Februar hätten sich nur etwa 500 Kandidaten gemeldet, also sechs am Tag. Gleichzeitig stoßen Zwangsrekrutierungen nach wie vor auf Gegenwehr. Vor einigen Tagen ging ein Video aus Lwiw durchs Netz, auf dem eine Frau die Tür eines Kleinbusses des Rekrutierungskommandos aufreißt und ihren ins Innere gezwungenen Mann wieder herausholt. Situationen wie diese sind keine Einzelfälle: Bauern halten sich die Rekrutierer mit der Jagdflinte vom Leibe, Frauen umstellen die Fahrzeuge, um ihre Männer oder Söhne freizubekommen. Und der Umstand, dass solche Szenen oft gefilmt werden, zeigt den Grad an gesellschaftlicher Unterstützung für diese kleinen Widerstandsakte.
Der Ukraine fehlen aber nicht nur Rekruten, sondern auch Raketen. Le Monde berichtete am Wochenende, dass aus Frankreich gelieferte Flugabwehrsysteme bald unnütz sein könnten, weil der Ukraine die Munition für sie ausgehe. Gleichzeitig reagierte US-Außenminister Marco Rubio betont gleichmütig auf wiederholte Aufforderungen Kiews, weitere »Patriot«-Batterien zu liefern. Er sagte, die USA hätten nichts mehr abzugeben, und er könne auch diejenigen Alliierten verstehen, die nicht bereit seien, auf weitere Batterien des in den USA gefertigten Systems zu verzichten. Eine »Patriot«-Batterie kostet ohne Munition 400 Millionen US-Dollar, jede Rakete zusätzlich mindestens vier Millionen. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat Anfang des Jahres drei Milliarden Euro für die Lizenzproduktion von 500 Raketen in Bayern bewilligt. Daraus ergibt sich ein Preis pro Schuss von sechs Millionen Euro. NATO-Generalsekretär Mark Rutte hat im Januar die Kosten für ein komplettes System mit zwei Milliarden Dollar angegeben.
Ebenfalls am Wochenende berichtete der Economist, dass Russland schon bald pro Angriff 500 oder auch 1.000 Drohnen einsetzen könne. Die Produktion sei zuletzt enorm gesteigert worden und erlaube Russland, die Grenzen der ukrainischen Luftabwehr auszutesten. Die tatsächliche Entwicklung bestätigt dies: Vergangenen Sonnabend wurden 250, am Sonntag 298 und in der Nacht auf Montag mehr als 300 Drohnen abgefeuert. Es kommt dabei nicht darauf an, dass alle ihr Ziel treffen. Auch der Abschuss einer Drohne vor dem Einschlag »verbraucht« Raketen, die auf ukrainischer Seite ohnehin knapp sind. Die Ukraine hat versucht, die gesteigerte Produktion durch Angriffe auf eine Drohnenfabrik in Jelabuga in Tatarstan und ein Akkumulatorenwerk im westrussischen Jelez zu stören.
In dieser Situation hat Russland gelassen auf ein emotionales Statement von US-Präsident Donald Trump zum mutmaßlichen Geisteszustand seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin reagiert. Darin hatte Trump die Frage gestellt, ob Putin noch bei Trost sei, die Angriffe auf die Ukraine entgegen seinen Aufforderungen zum sofortigen Waffenstillstand gesteigert fortzusetzen. Präsidialamtssprecher Dmitri Peskow wiegelte ab und sagte, die Situation sei für alle Beteiligten stressig, da könnten einem schon mal die Nerven durchgehen.
Der in Istanbul vereinbarte Austausch von je 1.000 Kriegsgefangenen ist am Wochenende mit der Freilassung von je 303 Personen abgeschlossen worden. Aus ukrainischer Haft kamen dabei neben 880 Soldaten auch 120 Zivilisten frei. Berichte in den ukrainischen Medien bestätigten indirekt, dass die Ukraine nicht mehr so viele russische Soldaten in ihrer Gewalt hat, um entsprechende Austausche zu realisieren. Statt dessen würden jetzt auch Zivilisten, die wegen »Separatismus« und »prorussischer Haltung« in U-Haft sitzen, einbezogen. Am Wochenende hatte der Sprecher des faschistischen »Asow«-Korps sich beschwert, dass kein einziger Angehöriger dieser Einheit freigekommen sei. Er regte an, nun Geistliche der am Moskauer Patriarchat orientierten orthodoxen Kirche als Geiseln zu nehmen, um die »Asow«-Leute freizupressen. »Asow« sei dazu kurzfristig bereit.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- Thomas Peter/REUTERS26.05.2025
Austausch und Drohnenkrieg
- Yulia Morozova/REUTERS05.05.2025
Druck auf Gäste steigt
- Valentyn Ogirenko/REUTERS02.05.2025
Drohung zum 9. Mai
Mehr aus: Ausland
-
»Beispielloser Angriff« auf Gaza
vom 27.05.2025 -
Sieg mit großem Vorsprung
vom 27.05.2025 -
Freispruch für Kurz
vom 27.05.2025 -
Netanjahus Werkzeug
vom 27.05.2025