Baywa, ein Sanierungsfall
Von Oliver Rast
Das Fiasko, das Desaster ist abgewendet. Zunächst zumindest. Die Finanzgläubiger des größten deutschen Agrar- und Baustoffhändlers Baywa AG haben dem Sanierungs- bzw. Restrukturierungsplan des Unternehmenskonglomerats zugestimmt. Jedenfalls mehrheitlich, berichtete jüngst der Bayerische Rundfunk (BR). Das gehe aus einer Börsenpflichtmitteilung der Baywa mit Hauptsitz in München hervor, so der Sender weiter. Und: »Wäre diese Zustimmung nicht erfolgt – die Zahlungsunfähigkeit der Baywa wäre nur noch eine Frage von Wochen gewesen.«
Soweit gekommen ist es also nicht. Denn der Plan für eine Art Firmenneustart hat beim sogenannten gerichtlichen Erörterungs- und Abstimmungstermin im Rahmen des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) die erforderliche Mehrheit erzielt. Aber: Das Gros der Aktionäre votierte gegen den Plan. Ein Schönheitsfehler, mehr nicht – weil: Nach den Vorschriften des StaRUG genügte im vorliegenden Fall die Zustimmung der Mehrheit der Finanzgläubiger, heißt es in der Baywa-Mitteilung.
Ausweg aus Dilemma
Der juristische Kniff dabei: Wenn die Gläubiger zustimmen und die Aktionäre wirtschaftlich durch die Sanierung nicht schlechter gestellt werden als ohne den Plan, dann ist die Billigung trotzdem ausgesprochen. Das bedeutet, mit dem seit 2021 existierenden StaRUG können sich angeschlagene Firmen ohne Insolvenzverfahren sanieren. Ein galanter Ausweg aus dem Dilemma. Jetzt muss nur noch das für die »Causa Baywa« zuständige Amtsgericht München den Plan bestätigen. Das dürfte am 6. Juni passieren.
Entsprechend erleichtert klangen die Baywa-Bosse. Die heutige Entscheidung sei ein positives Signal für Kunden und Lieferanten, meinte CEO Frank Hiller laut Mitteilung. »Die Baywa ist in finanzieller Hinsicht verlässlicher und planbarer geworden.« Und CRO und Vorstandsmitglied Michael Baur ergänzte: »Mit der Zustimmung ist das finanzielle Fundament für den Sanierungsrahmen bis Ende 2028 gelegt.«
Das heißt, dass die rund 300 planbetroffenen Finanzgläubiger für eine Verlängerung der unterschiedlichen Kredite bis zum 31. Dezember 2028 ihr Okay gegeben haben. Zudem wurde nach Baywa-Angaben eine Kapitalerhöhung in Höhe von bis zu knapp 202 Millionen Euro beschlossen.
Nur, wie konnte die Baywa überhaupt in die Krise schlittern? Zunächst: Noch im Geschäftsjahr 2022 sprang der Konzernumsatz von rund 20 Milliarden Euro auf zirka 27 Milliarden Euro. Ursache war der Ukraine-Krieg. Agrarprodukte erzielten Rekordpreise – und der Gewinn aus dem laufenden Geschäft (EBIT) überstieg erstmals die Marke von 500 Millionen Euro. Die Aktionäre, darunter viele Landwirte, bekamen ihre bisher höchste Dividende.
Projekte auf Pump
Der Wetterwechsel kam schnell. Die Europäische Zentralbank beendete ihre Nullzinspolitik, die Zinsbelastung für die Baywa vervielfachte sich innerhalb weniger Monate. Kein Wunder, denn die Konzernbosse finanzierten ihre Projekte auf Pump, überwiegend mit kurzfristigen Krediten, die nach wenigen Monaten schon fällig sind. Nur ein Jahr nach dem Höhenrausch waren die Zinszahlungen derart hoch, dass 2023 keine Dividenden mehr ausgeschüttet wurden. Mehr noch: Die Baywa hatte zum ersten Mal Verlust gemacht.
Hinzu kamen interne Querelen. Anfang 2024 war ein Machtkampf zwischen Exvorstandschef Klaus Josef Lutz und seinem Nachfolger Marcus Pöllinger derart eskaliert, dass Lutz seinen Posten als Aufsichtsratsvorsitzender »mit sofortiger Wirkung« niederlegte. Ein munteres Stühlerücken in der gesamten Führungsriege folgte.
Eine Insolvenz konnte im Sommer vergangenen Jahres nur verhindert werden, indem Banken und Eigentümer dem Konzern Hunderte Millionen nachschossen. In der Folge erstellte die Unternehmensberatung Roland Berger ein (vorläufiges) Sanierungsgutachten, das im Verlauf der Folgemonate präzisiert wurde. Das sieht im Kern vor, dass die Baywa bis Ende 2028 finanziell und wirtschaftlich wieder in die Spur kommen soll, sprich: rentabel wird.
Dafür muss der Schuldenberg abgebaut werden. Der beträgt laut Sanierungsplan, den der BR nach eigenen Angaben einsehen konnte, 7,4 Milliarden Euro. Die hohe Last der Miesen verteilt sich demnach auf eine »komplexe Finanzierungsstruktur« mit zahlreichen Instrumenten und einer Vielzahl von Gläubigern, darunter neben großen Banken auch zahlreiche Volks- und Raiffeisenkassen und Sparkassen.
Planspiele als Lehrstück
Unter dem Strich soll sich der Umsatz der sanierten Baywa 2028 auf rund zwölf Milliarden Euro belaufen – und damit im Vergleich zum Jahr 2024 mehr als halbieren. Zugleich soll die Gewinnmarge größer werden, und die Umsatzrendite soll bei fast fünf Prozent liegen. Planspiele im Rahmen eines »Restrukturierungsplans«, meinen Kritiker. Denn: Der »Sanierungsfall Baywa« sei ein Lehrstück, »wie die Konzernführung aus Großmannssucht ein starkes, 100 Jahre altes Agrarunternehmen in kurzer Zeit fast in die Pleite treiben konnte«, kommentiert Hugo Gödde in der »Unabhängigen Bauernstimme« der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Und er fragt, ob dafür eigentlich irgend jemand die Verantwortung übernehme? Der Vorstand, der Aufsichtsrat? Wohl kaum. Fest steht freilich, die Baywa-Bosse setzen auf eine altbekannte Doppel-Krisen-Strategie: Standorte dichtmachen, Jobstellen streichen. Ein echtes Fiasko, ein echtes Desaster.
Was ist die Baywa AG?
Die Bayerische Warenvermittlung landwirtschaftlicher Genossenschaften AG wurde 1923 als Genossenschaft gegründet und hat die genossenschaftliche Idee bis heute in ihren Leitlinien, dem sogenannten Code of Conduct. 1972 erfolgte die Umbenennung in Baywa AG, seitdem bezeichnet das Kürzel das Firmenkonglomerat. Die Baywa ist deutschlandweit und weltweit tätig. Der Hauptsitz ist in München.
Das zentrale Geschäftsfeld ist der Handel mit Agrarprodukten. Die Baywa fungiert beispielsweise als Lieferant von Saatgut, Dünger, Futtermitteln und Landmaschinen – und stellt damit die Versorgung von Landwirten sicher. Ferner kauft der Genossenschaftskonzern zahlreichen Bauern ihre Ernten ab und vermarktet sie national und international. Viele Landwirte sind zudem Aktionäre des Unternehmens, haben bisweilen größere Depots an Anteilsscheinen. Und sind auch deshalb doppelt gebeutelt von der Baywa-Krise.
Seit 2020 hat der Konzernvorstand seine Businessaktivitäten enorm ausgeweitet. In mehr als 50 Ländern ist die Baywa geschäftlich präsent. Etwa in landwirtschaftsfremden Branchen wie dem Bau- und Energiesektor. Hier besonders im Bereich erneuerbarer Energieträger, der Wind- und Solarkraft. Die hochdefizitäre Tochter Baywa re ist dabei der hauptsächliche Verlustbringer des Firmengeflechts.
Mit dem über Jahre hinweg erweiterten Kundenstamm vergrößerte sich auch das Dienstleistungs- und Warenangebot im ländlichen Raum. Davon profitierte die örtliche Bevölkerung etwa durch die Baywa-Bau- und Gartenmärkte. Nebenbei existiert seit 1998 die Baywa-Stiftung.
Weltweit hat die Baywa mehr als 25.000 Beschäftigte, allein rund 8.000 in Bayern. Im Jahr 2024 erzielte der Konzern einen weltweiten Umsatz von rund 20 Milliarden Euro.
Mit der Annahme des »Restrukturierungs- und Sanierungsplans« durch die Gläubiger steht nun ein »Schrumpfkurs« an. Vor allem: weniger Standorte, weniger Beschäftigte. (or)
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