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Aus: Ausgabe vom 24.05.2025, Seite 6 / Ausland
Nahostkonflikt

»Völkermord in Gaza«

Lesereise durch Österreich, Schweiz und BRD. Eindrücke von Helga Baumgarten
Von Helga Baumgarten
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Auch in Deutschland lassen sich die Menschen ihren Protest gegen die israelischen Verbrechen nicht einfach verbieten (Leipzig, 22.3.2025)

Man zieht, aus Jerusalem kommend, quer durch den deutschen Sprachraum und findet aus dem Staunen nicht heraus. Im »demokratischen« Europa, so versteht es sich ja, sollte die Meinungsfreiheit eine der wichtigsten Säulen des politischen Systems sein. Offensichtlich gilt das aber nur noch für bestimmte Meinungen. Aber was ist wenigstens mit akademischer Freiheit: Freiheit, an Universitäten die Ergebnisse seiner Forschung vorzustellen. Au wei! Sicher nicht in Halle oder in Berlin oder in Wien oder in Bern oder, oder, oder …

Pressefreiheit, wo über das, was in der Welt passiert, offen und kritisch berichtet wird – was soll das sein, fragt eine junge Studentin. Sie kennt Presse nur als Organ der Regierungen, sei es in Berlin oder Wien oder Bern. Wo und wie ist es möglich, offen und kritisch zu sein, ohne mit schlimmen Informationen und Analysen hinter dem Berg zu halten? Manchmal muss man, bei Wind und Wetter, auf einen Marktplatz ausweichen. Die deutschen Gewerkschaften mögen es nicht, wenn der Völkermord in Gaza zum Thema gemacht wird.

Noch schlimmer sind die zionistisch ausgerichteten pietistischen Christen im Südwesten der BRD. Sie versuchen einen kleinen Buchladen dazu zu zwingen, eine Lesung abzusagen. Üben starken Druck aus. Rufen gar die regionale Presse aufs Tapet. Aber siehe da: Manchmal erreichen sie damit genau das Gegenteil. Die Gesellschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz will nämlich informiert werden, will wissen, was in Gaza und in Palästina los ist. Sie will wissen, welche Rolle die Regierungen spielen, nicht zuletzt die in Berlin, von Annalena Baerbock bis Olaf Scholz, jetzt der werte Friedrich Merz. Sie will wissen, ob Merz einen Politiker einladen darf, der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gesucht wird. Und sie will nachhaken, ob und in welchem Umfang Deutschland Waffen nach Israel liefert und ob es damit am Völkermord beteiligt und schuldig ist.

Die Menschen wollen auch wissen, was genau die israelische Regierung, angeführt von Benjamin Netanjahu, in Gaza macht, wie das in der kritischen israelischen Presse bezeichnet wird. Sie sind erstaunt zu hören, dass in Zeitungen wie Haaretz offen von Völkermord die Rede ist, vom unerträglichen Mord an Tausenden von Kindern, von der Hetze israelischer Politiker, angefangen vom Präsidenten Isaac Herzog über die Minister Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir bis hin zu zahllosen Abgeordneten in der Knesset, von deren unüberhörbarer Aufforderung, den Genozid in Gaza bis zum letzten palästinensischen Baby fortzusetzen. Sie wollen auch erfahren, warum plötzlich deutsche Medien, die deutsche Regierung und die deutsche Polizei (in Wien ist das nicht anders!) deutsche Juden als Antisemiten oder als selbsthassende Juden bezeichnen, warum die Polizei deutschjüdische Mitglieder der »Jüdischen Stimme für Frieden und Gerechtigkeit« physisch angreift.

Man darf sich glücklich schätzen, dass es noch eine kritische Gegenöffentlichkeit gibt, Orte, Veranstaltungsorte und Räume, in denen informiert, analysiert, kritisiert und angeprangert werden kann. Und dass es Verlage gibt, die kritische Bücher und Analysen publizieren. Gerade hier und heute ist zu betonen, wie wichtig es ist, der Aufforderung des großen deutschen Philosophen Ernst Bloch zu folgen, endlich »den aufrechten Gang« zu gehen.

Dies ist die 39. Kolumne von Helga Baumgarten, emeritierter Professorin für Politik der Universität Birzeit in Palästina. Gemeinsam mit Norman Paech stellt sie am Dienstag, 27. Mai, um 19 Uhr in der Maigalerie der jungen Welt (Torstr. 6, 10119 Berlin) das gemeinsame Buch »Völkermord in Gaza« vor

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