Gegründet 1947 Dienstag, 1. Juli 2025, Nr. 149
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 16.05.2025, Seite 12 / Thema
Geschichte der Arbeiterbewegung

Integration und Repression

Jede weitere Tätigkeit »schärfstens untersagt.« Über die antifaschistische Bewegung in Deutschland im Frühjahr 1945
Von Leo Schwarz
13-onl.jpg
Aufruf des Antifaschistischen Komitees Jena

Im Frühjahr 1945, in den ersten Wochen nach der militärischen Zerschlagung des deutschen Faschismus und der Besetzung des Landes durch die Armeen der Antihitlerkoalition, entwickelte sich in vielen Teilen Deutschlands – und insbesondere in den alten Zentren der Arbeiterbewegung – eine weitgehend spontane Bewegung antifaschistischer Selbstorganisation. Der häufig isoliert betrachtete Fall Schwarzenberg, wo sich diese Bewegung für einige Wochen in einem besatzungsfreien Raum entfalten konnte, ist tatsächlich nur Teil eines viel umfassenderen Gesamtbildes. Es belegt, dass es 1945 nach zwölf Jahren Nazidiktatur und mehreren Jahren Krieg viele Menschen an vielen Orten in Deutschland gab, die unter ausgesprochen komplizierten Bedingungen unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen die Initiative ergriffen, um einen Neubeginn unter antifaschistischen Vorzeichen zu ermöglichen.

Antifaschistische Ausschüsse, Antinazikomitees und Volksausschüsse bildeten sich zwischen April und Juni 1945 unter ganz unterschiedlichen Bezeichnungen und mit unterschiedlicher Größe und politischer Reichweite – die Spannbreite reichte von kleinen, isolierten Gruppen bis zu gegliederten Zusammenschlüssen mit Tausenden erfassten Unterstützern wie etwa in Leipzig, Dresden, Braunschweig, Essen oder Solingen. Rund 500 derartige Gründungen sind nachgewiesen; es gab aber zweifellos mehr. Zu vielen der von der einst einmal rührigen Forschung festgestellten Ausschüsse und Komitees insbesondere in kleineren Orten gab es nur eine mündliche, aber keine aktenmäßige Überlieferung. Schon deshalb dürfte eine vollständige Rekonstruktion der ganzen Breite dieser Bewegung heute gar nicht mehr möglich sein.

Konspirativ und offen

Die Grundzüge sind freilich bekannt. Schwerpunkte dieser Bewegung waren Berlin und sein Umland, Sachsen, Thüringen, der Süden des heutigen Landes Sachsen-Anhalt, das Rhein-Main-Gebiet, das Ruhrgebiet, Hamburg und Bremen, der Raum Hannover-Braunschweig, Stuttgart, München und sein Umland und das Bodenseegebiet. Es gab diese antifaschistische Selbstorganisation aber auch außerhalb dieser Zentren – so im bis Anfang Mai 1945 umkämpften und bald an die polnische Verwaltung übergebenen Breslau, wo sogar der höchst seltene Fall eintrat, dass deutsche Antifaschisten in den letzten Kriegstagen kleinere bewaffnete Aktionen unternahmen.

Diese Bewegung bildete eine Art Epilog zum deutschen antifaschistischen Widerstand zwischen 1933 und 1945. Mit ihr traten vor allem die noch vorhandenen Organisationskerne der alten Arbeiterbewegung aus der Illegalität heraus. Diese lokalen Zusammenschlüsse – lokal waren und blieben sie aus zwei Gründen: zum einen waren die letzten verbliebenen überregionalen (in der Mehrzahl kommunistischen) Netzwerke des Widerstands 1944 von der Gestapo zerschlagen worden, zum anderen waren in den ersten Wochen nach der Befreiung die Verkehrs- und Kommunikationsnetze weithin nicht mehr funktionsfähig – organisierten sich auf recht unterschiedliche Weise: halb konspirativ und auf persönliche Bekanntschaft gegründet hier, über offen ausliegende Listen, Mitgliedererfassung und Beitragsabrechnung dort.

Ohne über eine einheitliche programmatische Ausrichtung oder eine zentrale Koordinierung zu verfügen, verband sie die scharfe Frontstellung gegen den Nazifaschismus, von dem ja niemand zu sagen wusste, ob nicht schon bald Versuche unternommen werden würden, ihn wiederzubeleben – die Nazis waren ja noch da, und gar nicht so selten versuchten Beamte des faschistischen Staates nach wenigen Tagen des Abwartens, an ihre Schreibtische in Rathäusern und Polizeipräsidien zurückzukehren. Die Ausschüsse und Komitees taten, was ihnen sinnvoll erschien, um das zu verhindern. Nicht wenige dieser Ausschüsse nahmen auch die Herausforderung der Wiederingangsetzung des Alltagslebens an. Sie organisierten die Trümmerbeseitigung, die Arbeitsaufnahme in Betrieben (meist zusammen mit spontan neu gebildeten Betriebsräten), die Sicherstellung des Verkehrswesens, von Krankenhäusern, Strom- und Wasserversorgung.

Charakteristisch für die Ausschüsse und Komitees war auch, dass hier vielfach Mitglieder der beiden großen Parteien der Arbeiterbewegung sowie ihrer verschiedenen Abspaltungen (KPO, SAP, ISK und andere) ganz selbstverständlich und weitgehend problemlos zusammenarbeiteten. Diese Kontakte waren oftmals schon in der Illegalität geknüpft worden. Dieser Aspekt fällt insbesondere in den Fällen von antifaschistischer Selbstorganisation auf, die in kurzer Zeit eine besonders große Aktivität entfalteten und viele Menschen erreichten, so etwa bei der Kampfgemeinschaft gegen den Faschismus in Bremen und beim Bezirkskomitee Freies Deutschland in Leipzig, das sich nach dem Verbot durch die US-Amerikaner Antifaschistischer Block nannte.

Legendenbildung

Die Forschung sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR hat sich mit dieser Bewegung erst relativ spät beschäftigt; die wesentlichen Arbeiten sind zwischen der Mitte der 70er und der Mitte der 80er Jahre erschienen. Als nach der Abwicklung der DDR-Forschungslandschaft zumindest im Bereich der institutionalisierten Geschichtswissenschaft die systematische Erforschung der Geschichte der Arbeiterbewegung weitgehend eingestellt wurde, ist zu diesem Thema nur noch verstreut publiziert worden. Aus dem historischen Gedächtnis ist diese Bewegung, das zeigen die Wortmeldungen zum 80. Jahrestag des Kriegsendes in diesen Wochen einmal mehr, weitgehend verschwunden.

Dennoch begegnet man, wenn denn einmal die Rede auf diese Bewegung kommt, immer wieder einer bestimmten Legende. Sie besagt im Kern, dass diese Bewegung in der sowjetischen Besatzungszone – die Entwicklung in den Westzonen wird dabei bezeichnenderweise meistens gar nicht beachtet – von der aus dem Moskauer Exil zurückgekehrten KPD-Führung als »basisdemokratische« Bedrohung bzw. als unerwünschter Versuch einer Rekonstruktion der Arbeiterbewegung »von unten« verstanden und aus prinzipiellen Gründen bekämpft und abgewürgt wurde. Sie ist heute vor allem in Kreisen »linker« Antikommunisten verbreitet. Den Grundstein für diese Erzählung legte Wolfgang Leonhard 1955 mit den einschlägigen Passagen in seinem Bestseller »Die Revolution entlässt ihre Kinder«.

Die Ansicht, es habe einen grundsätzlichen Gegensatz zwischen der KPD (bzw. der KPD-Führung) und den Antifaausschüssen gegeben, ist schon aus dem einfachen Grund ahistorisch, weil die Antifaausschüsse in vielen Fällen nichts anderes waren als die früheste Gestalt der Reorganisation der Kommunisten (und von linken Sozialdemokraten, die mit den Kommunisten zusammenarbeiten wollten) bzw. das erste Feld ihrer politischen Betätigung vor der formellen Neukonstituierung der KPD im Juni 1945. Weder Kommunisten noch linke Sozialdemokraten wurden in diesen Ausschüssen als »Parteilose« aktiv.

Tatsache allerdings ist, dass es unter den deutschen Kommunisten – und das konnte schlechterdings nach zwölf Jahren einer bis zu einem gewissen Grad voneinander isolierten Entwicklung einerseits in der Illegalität und andererseits in den Ländern des Exils auch gar nicht anders sein – recht unterschiedliche Vorstellungen davon gab, auf welcher Linie nun die politische Arbeit erfolgen musste.

Antifa oder Verwaltungsaufbau

Die für die Frage des Umgangs mit der Antifabewegung relevante Differenz, und das ist von Bedeutung, hatte sich aber erst in der unmittelbaren Schlussphase des Krieges entwickelt. Bis dahin hatten sowohl die im Land verbliebenen, noch aktiv arbeitenden Kommunisten als auch die Parteispitze in Moskau für die Zeit unmittelbar nach dem absehbaren Zusammenbruch des Naziregimes auf die Schaffung von lokalen Ausschüssen orientiert, wie sie sich dann tatsächlich bildeten. In der »Entschließung des Parteiaktivs der KP Buchenwald« – die von besonderer Bedeutung ist, weil sich zum Zeitpunkt der Befreiung des Konzentrationslagers auf dem Ettersberg etwa 800 deutsche Kommunisten dort befanden, die sich anschließend vor allem im mitteldeutschen Raum in die politische Arbeit einschalteten – wurde zum Beispiel am 22. April 1945 die »Bildung antifaschistischer Volksausschüsse auf breitester Grundlage« gefordert. Der Ansatz der Ende April ins Land zurückkehrenden Parteispitze hatte sich da aber bereits verändert. Sie orientierte nun mit Nachdruck auf die Arbeit in neu aufzubauenden Verwaltungen.

Bei Lichte betrachtet war das der »radikalere« Ansatz: Vor allem Walter Ulbricht hatte vollkommen verstanden, dass (vielleicht sogar in der sowjetischen Zone) andere Leute anstelle der Kommunisten in den Verwaltungen sitzen würden, wenn diese sich in dem überschaubaren Zeitfenster, in dem von den Besatzungsmächten personelle Weichenstellungen vorgenommen werden würden, angesichts eines nach zwölf Jahren härtester Verfolgung sehr ausgeprägten »Kadermangels« in den Antifa- und Volksausschüssen verausgabten. Genau auf diese Empfehlung läuft aber die retrospektive Kritik an Ulbricht hinaus, die es zum »stalinistischen« Skandal erklärt, dass die KPD-Führung diese »spontane Basisbewegung« nicht unterstützt, sondern abgestoppt hat.

Keine »Rummurkserei«

Dabei ist der direkte Zusammenhang zwischen dem zum Dreh- und Angelpunkt der politischen Arbeit erklärten Aufbau einer neuen Verwaltung und der harschen Ablehnung der »Rummurkserei mit der Antifa« (Ulbricht am 27. Juni 1945 vor leitenden KPD-Funktionären der Provinz Brandenburg) in einer ganzen Reihe von Dokumenten sehr klar zu erkennen. So schrieb Ulbricht bereits am 9. Mai 1945 an Georgi Dimitroff: »Die spontan geschaffenen KPD-Büros, die Volksausschüsse, die Komitees der Bewegung ›Freies Deutschland‹ und die Ausschüsse der Leute des 20. Juli, die vorher illegal arbeiteten, treten jetzt offen auf. Wir haben diese Büros geschlossen und den Genossen klargemacht, dass jetzt alle Kräfte auf die Arbeit in den Stadtverwaltungen konzentriert werden müssen. Die Mitglieder der Ausschüsse müssen ebenfalls zur Arbeit in die Stadtverwaltungen übergeführt und die Ausschüsse selbst liquidiert werden.« Vielfach seien, beklagte Ulbricht in diesem Schreiben, die Kommunisten »von den sich bildenden Kreisverwaltungen isoliert« gewesen. Dass er sich auch gegen die »KPD-Büros« wandte, zeigt, dass für ihn die Frage der Verwaltung sogar vordringlicher war als die Reorganisation der Partei.

Sogar bei Wolfgang Leonhard wird gleichsam aus Versehen dieser Ansatz Ulbrichts mitgeteilt, wenn Leonhard angibt, von ihm die Aussage gehört zu haben, dass in Deutschland »die Fehler der griechischen Partei« nicht wiederholt werden sollen: »Dort haben sich die Genossen auch in irgendwelchen Komitees zusammengeschlossen, und inzwischen haben die Gegner die Staatsverwaltung aufgebaut.« Das hat Leonhard trotzdem nicht daran gehindert, eine »Verachtung Ulbrichts gegenüber einer selbständigen Initiative von unten« auszumachen bzw. herauszustellen, dass die von ihm angewiesene Auflösung der Ausschüsse und Komitees als »Erstickung« dieser »Initiative von unten«, ja als »Zertrümmerung erster Ansätze einer vielleicht machtvollen, selbständigen, antifaschistischen und sozialistischen Bewegung« zu verstehen sei – kein Fehler, sondern ein »Wesenszug der stalinistischen Politik«.

Wie so oft, wenn Empirie und historische Analyse durch den Verweis auf »Stalinismus« ersetzt werden, ist man gut beraten, genau hinzuschauen, was tatsächlich geschehen ist. Und hier zeigt sich, dass es kaum Hinweise darauf gibt, dass die Akteure in den Ausschüssen und Komitees diese Gründungen als selbstständige und einheitliche Bewegung oder als Ersatz für eine Partei verstanden haben. Wohl aber wurde in einigen Fällen der Versuch gemacht, die Ausschüsse durch eine »Einheitspartei« der Arbeiterklasse zu ersetzen, wie im Fall der Partei der Werktätigen im Mansfelder Gebiet, der Vereinigten Kommunistischen Partei in Forst oder der Vereinigten Arbeiterpartei am Bodensee. Es gibt auch keine belastbaren Hinweise auf ein dezidiert »basisdemokratisches« oder allgemein antifaschistisches Bewusstsein, das das kommunistische, sozialdemokratische oder bürgerlich-antinazistische Selbstverständnis der Beteiligten überformt hätte. Und letztlich wurde diese Bewegung in der sowjetischen Zone auch nicht »zertrümmert«: Sie wurde, mit aktiver Beteiligung der sowjetischen Kommandanturen, auf den Aufbau einer antifaschistisch-demokratischen Verwaltung umgeleitet.

Zu den unterschiedlichen Vorstellungen darüber, wo denn der Hebel für einen Neubeginn unter antifaschistischen Vorzeichen am besten anzusetzen war, trat aber durchaus auch noch eine politische Spannung. In den Ausschüssen – insofern in ihnen die Bezugnahme auf die alte Arbeiterbewegung überwog, und das war in den allermeisten Fällen so – trat nämlich vor allem in Losungen und Symbolen eine Stimmung in Erscheinung, die von den aus dem Exil zurückgekehrten Kommunisten auf den Begriff des »Sektierertums« gebracht und unter dem Gesichtspunkt der angestrebten möglichst breiten Einheit aller antifaschistischen Kräfte (und der Orientierung dieser antifaschistischen Kräfte auf eine regierende und eben nicht mehr oppositionelle Rolle) sofort als problematisch erkannt wurde.

Keine »Sekte«

Zwar mag die Einschätzung überzogen sein, laut der viele Kommunisten 1945 dort »weitermachen« wollten, wo sie 1933 »aufgehört« hatten – sie unterschätzt die vielfältigen Prägungen der langen Illegalität und übersieht, dass gerade auch viele Sozialdemokraten 1945 zunächst mit »radikalen« Deklarationen die Arbeit wieder aufnahmen –, so trifft es doch zu, dass erhebliche konzeptionelle Unterschiede zwischen den Exilkommunisten und denen im Inland, die zunächst auch die Hauptarbeit in vielen antifaschistischen Ausschüssen leisteten, existierten. Die Beschlüsse des VII. Weltkongresses der Komintern (1935), der Brüsseler (1935) und Berner (1939) Konferenz der KPD hatten im Inland vielerorts keine Leitbildfunktion, die in den Kriegsjahren von der KPD-Führung in Moskau erarbeiteten Dokumente schon gar nicht. Dass der »Kurs auf Sowjetmacht und Sozialismus« schon 1933 »nicht mehr richtig« gewesen sei, wie Ulbricht bei der ersten Berliner Funktionärskonferenz am 13. Mai 1945 betonte, sahen längst nicht alle Genossen so.

Und das zeigte sich zwar nicht überall, aber doch in erheblichem Umfang in den antifaschistischen Zusammenschlüssen der ersten Nachkriegswochen. In Potsdam bildeten Kommunisten und Sozialdemokraten am 3. Mai 1945 einen »Revolutionären Vollzugsausschuss«. Der nach Sachsen entsandte Anton Ackermann berichtete, man habe in Meißen »einen kompletten Rat der Volkskommissare« vorgefunden. In Pirna wurde die Bevölkerung aufgefordert, mit »Rot Front« zu grüßen. Wilhelm Piecks Sohn Arthur, als Politoffizier der Roten Armee in Berlin eingerückt, schrieb am 7. Mai an seinen Vater, es »existierte in Spandau einige Tage eine ›Internationale Miliz‹, in Wittenau wurde ein ›Arbeiter- und Soldaten-Rat‹ gebildet, in Wilmersdorf eine ›Internationale Kommunistische Partei‹, an einigen Stellen ›Nationalkomitees‹«. Im Antifaausschuss Treptow arbeiteten auch Personen aus dem Bürgertum mit. Der Kommunist Fritz Köhn berichtet: »Unsere Genossen waren da nicht mit einverstanden, sie waren der Meinung, wir werden in den nächsten Monaten die Diktatur des Proletariats bekommen, und dann werden wir dieses Geschmeiß alle beiseite schieben.«

Kurzum: Da die aus Moskau zurückgekehrten Kommunisten nicht die Absicht hatten, die KPD als »Sekte« zu reorganisieren, sondern als bündnisfähige Massenpartei, ergab sich automatisch ein Spannungsverhältnis zu den Genossen, die, wie der mit Ulbricht zurückgekehrte Fritz Erpenbeck beobachtete, »mit einem Sprung zum Kommunismus« gelangen wollten. Diese »Sektierer« aber traf man in den Ausschüssen und Komitees vielfach an, was zweifellos die Tendenz zur Absonderung dieser Zusammenschlüsse vom Verwaltungsaufbau verstärken musste. Das wiederum hat die Bestrebungen zur Auflösung der antifaschistischen Ausschüsse, die zum Beispiel in Berlin, wo sich im Arbeiterbezirk Wedding sogar eine »Antifazentralleitung« für ganz Deutschland konstituiert hatte, bis zum Herbst 1945 weitgehend erfolgt war, zweifellos verstärkt. Allerdings erfolgte diese Auflösung nicht mit Verboten, sondern auf dem Wege politischer Agitation und Administration.

»Politische Quarantäne«

Eine tatsächliche scharfe Repression gegen die antifaschistischen Ausschüsse fand nicht in der sowjetischen Zone, sondern in den Besatzungszonen der Westmächte statt. Sie zielte auch nicht darauf, das in den Ausschüssen in Erscheinung tretende politische Potential anderweitig einzusetzen, sondern darauf, dieses Potential als solches aus dem politischen Prozess auszuschalten. Deutlich erkennbar ist auch das im Konzept der »politischen Quarantäne« verborgene Motiv, durch die Unterbindung einer »ungesteuerten« Reorganisation der Arbeiterparteien (und übrigens auch der Gewerkschaften) rechten, dezidiert auf die Zusammenarbeit mit den westlichen Besatzungsmächten orientierten Funktionären und natürlich auch bürgerlichen Kräften die nötige Zeit zu verschaffen, um ihren zunächst kaum vorhandenen Einfluss wieder auszubauen.

Aus diesen Gründen wurde in den Westzonen die politische Betätigung von Deutschen in den ersten Monaten nach Kriegsende grundsätzlich schärfer reguliert als in der sowjetischen Zone und bestand an einer Mitarbeit deutscher Antifaschisten nur geringes oder gar kein Interesse. Außerdem fiel den Besatzungsbehörden natürlich sofort auf, dass in den Ausschüssen meistens die Kommunisten den ausschlaggebenden Einfluss besaßen. Vielfach dokumentiert ist das Erschrecken zum Beispiel von amerikanischen Beobachtern darüber, dass zumindest bis zum Sommer 1945 Nachprüfungen in vielen Städten immer wieder ergaben, dass die Kommunisten »die einzige organisierte politische Gruppe« waren, wie ein Berater der amerikanischen Militärregierung Ende Juni nach Washington berichtete. Zwischen April und Juni 1945 kam es deshalb zu einer ganzen Reihe von Verboten, die sich gegen die antifaschistische Bewegung richteten, so in Bremen, Essen, Frankfurt am Main, Hamburg und Stuttgart. Auch in den zunächst von der US-Armee besetzten Gebieten, die zur sowjetischen Besatzungszone gehören sollten, gingen die Besatzungsbehörden gegen die deutschen Antifaschisten vor. Verbote wurden etwa in Erfurt, Halle, Jena, Halberstadt und Leipzig ausgesprochen.

In Weimar setzte der von den Amerikanern eingesetzte kommissarische Oberbürgermeister Erich Kloss (ein ehemaliges Mitglied der rechtsliberalen DVP und von den Nazis erst 1934 als stellvertretender Bürgermeister abgelöst) am 28. April 1945 das in der Stadt aktive »Antinazikomitee« davon in Kenntnis, dass der Stadtkommandant dem Komitee jede weitere Tätigkeit »schärfstens untersagt« hatte. Verbunden war das mit der Drohung, dass bei Zuwiderhandlungen »die Führer der Kommunistischen Partei« von »der Military Police sofort verhaftet werden«. Anlass dafür war die Festnahme eines »Betriebsführers« der Gustloff-Werke, die das Komitee vorgenommen hatte. In Zwickau hieß es in einer Bekanntmachung am 31. Mai: »Letzte Berichte geben an, dass einige Personen ›Antinazi‹-Ausschüsse gebildet, Versammlungen abgehalten, Literatur verteilt und Propagandazettel angeschlagen haben. Betätigung dieser Art ist ›politisch‹ und fällt unter den Begriff des Verbotes politischer Betätigung.« In Solingen, Hannover und München wurden die antifaschistischen Zusammenschlüsse ebenfalls verboten. Mitunter gingen die Besatzungsbehörden weniger scharf vor, indem sie nicht die Ausschüsse, wohl aber deren öffentliches Auftreten verboten, so etwa in Braunschweig. In mehreren Fällen waren diese Verbote mit Verhaftungen und Verurteilungen verbunden.

In Eisleben, wo eine von Kommunisten und Sozialdemokraten in den letzten Tagen der Naziherrschaft illegal gebildete Miliz kurz vor dem Einmarsch der US-Armee die Polizei entwaffnet und das Rathaus besetzt hatte, setzten die Amerikaner den zunächst als Landrat eingesetzten Kommunisten Otto Gotsche wieder ab, nachdem ihnen klargeworden war, dass er einer der Köpfe der antifaschistischen Selbstorganisation im Mansfelder Gebiet war, wo es allein etwa 50 antifaschistische Ausschüsse gab (in denen durchaus auch ehemalige Mitglieder bürgerlicher Parteien mitarbeiteten). Auch der kommunistische Bürgermeister von Eisleben, Robert Büchner, wurde im Juni abgesetzt. Im gesamten Besatzungsgebiet der US-Armee war es Kommunisten nur im Mansfelder Gebiet gelungen, vorübergehend größeren Einfluss auf den Verwaltungsapparat zu gewinnen.

Während also in der sowjetischen Besatzungszone eine Integration und Umleitung des demokratischen Potentials der antifaschistischen Bewegung in den Aufbau einer neuen Verwaltung stattfand, erfolgte derlei in den in Festreden heute als Modellfall »demokratischer« Entwicklung vorgestellten Westzonen nicht. Im Gegenteil: Die Entfaltung dieses Potentials wurde nach Kräften behindert, Ansätze für ein Übergreifen dieser Bewegung auf die Verwaltung wurden rigoros unterbunden. Dass heute ausgerechnet die Entwicklung in der sowjetischen Zone als Anwendungsfall »stalinistischer« Ablehnung von antifaschistisch-demokratischer Selbstorganisation angeführt wird, während die ganz reale Repression gegen diese Selbstorganisation in den Besatzungszonen der »demokratischen« Westmächte vollkommen vergessen ist, zeigt exemplarisch, wie schnell und gründlich Geschichte zur Dichtung werden kann.

Leo Schwarz schrieb an dieser Stelle zuletzt am 3. November 2023 über die Absetzung der Linksregierungen in Sachsen und Thüringen 1923 und deren Darstellung in der Geschichtswissenschaft: Die letzte rote Linie.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Sowjetische Soldaten hissen die rote Fahne auf dem Reichstag in ...
    08.05.2025

    Ringsum Apfelblüten

    Erkundungen und Erinnerungen zum 80. Jahrestag des Sieges über das faschistische Deutschland
  • Symbol der Antihitlerkoalition: Treffen sowjetischer und US-Sold...
    25.04.2025

    Nazihoffnung begraben

    Am 25. April 1945 trafen sich sowjetische und US-Soldaten an der Elbe bei Torgau und feierten das bevorstehende Kriegsende
  • Die US Air Force warf 4.000 Langzeitzünderbomben auf die Kleinst...
    18.03.2025

    Die Jagd nach der Bombe

    Vor 80 Jahren bombardierte die US Air Force die Stadt Oranienburg. Ihr Ziel: Das Atomprogramm der Nazis

Regio: