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Aus: Ausgabe vom 15.05.2025, Seite 2 / Ausland
Ermittlung zu spanischen Naziopfern

Man stellt lediglich das Offensichtliche fest

Spanien: Justiz untersucht Tod Tausender in deutschen KZ. Ziel der Ermittlungen noch unklar. Ein Gespräch mit Emilio Silva
Interview: Carmela Negrete
HOLOCAUST-MEMORIAL-AUSTRIA.JPG
Im KZ Mauthausen wurde zum Tag der Befreiung auch der dort geschundenen und getöteten spanischen Republikaner gedacht (11.5.2025)

Die spanische Justiz hat erstmals ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, um den Tod Tausender Spanier in Konzentrationslagern der Nazis zu untersuchen, wie am Montag bekannt wurde. Kann überhaupt noch jemand dafür zur Rechenschaft gezogen werden?

Die Ermittlungen dieser speziellen Staatsanwaltschaft haben laut Gesetz keine gerichtlichen Konsequenzen. Es gibt keinen Präzedenzfall. Wir wissen nicht, ob es nur um die Sammlung von Fakten geht oder ob ein weitergehender Prozess angestrebt wird.

Besteht also keine Möglichkeit, dass ein Strafverfahren eingeleitet wird?

Nein, wegen des Amnestiegesetzes. Parallel dazu läuft seit 2010 ein Verfahren in Argentinien, das auf dem Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit basiert. Was die spanische Staatsanwaltschaft jetzt unternimmt, könnte diesen Weg sogar blockieren. Die argentinische Justiz hat gehandelt, weil in Spanien nichts geschah. Wir wissen also wirklich nicht, was für eine Art von Untersuchung das sein wird oder welchem Zweck sie dient.

Ist Ihnen ein ähnlicher Fall bekannt?

Das Ähnlichste ist ein neuerer Fall aus Kantabrien, wo die Staatsanwaltschaft für Erinnerung und Menschenrechte erklärte, dass ein franquistisches Urteil ungerecht war. Aber das steht ohnehin schon im Gesetz von 2022. Die Staatsanwaltschaft sollte sich nicht darauf beschränken, Ungerechtigkeiten festzustellen, sondern Gerechtigkeit zu suchen.

Also könnte die Ankündigung der Staatsanwaltschaft nur symbolisch sein?

Es könnte bei einem symbolischen Akt bleiben, genau – so wie im erwähnten Fall aus Kantabrien. Man stellt lediglich das Offensichtliche fest: dass es ungerecht war. Aber dafür brauchen wir keine neue Staatsanwaltschaft.

Droht deutschen Stellen wenigstens, sich damit befassen zu müssen?

2008 wurde versucht, SS-Offiziere im Zusammenhang mit spanischen Opfern vor Gericht zu bringen – ohne Ergebnis. Und spanische Staatsanwälte haben nicht die Macht eines Ermittlungsrichters. Das ist eher eine Sammlungstätigkeit.

Könnte diese Untersuchung von anderen genutzt werden, um eine offizielle Entschuldigung oder Entschädigung zu fordern?

Wir haben das versucht. Ich habe mich mit deutschen Botschaftern getroffen. Aber die spanische Regierung wollte sich nie auf dieses Terrain begeben. Und es geht nicht nur um die Lager der Nazis. Hier in Madrid gab es am 30. Oktober 1936 einen deutschen Bombenangriff, bei dem 200 Zivilisten starben. Spanien hat dafür nie etwas gefordert. Ich glaube nicht, dass sich das jetzt ändert.

Derweil hat das Königspaar am Sonntag an der Gedenkfeier zur Befreiung des KZ Mauthausen in Österreich teilgenommen …

Genau. Das ist eine rein ästhetische Aktion. Spanien tut so, als ob es den 8. Mai wie andere Länder als Tag der Befreiung vom Faschismus feiern könnte. Aber die spanischen Republikaner, die Mauthausen überlebten, durften erst nach Francos Tod zurückkehren (20. November 1975, jW).

Wie beurteilen Sie die Aufarbeitung der Fälle von spanischen Deportierten?

Die Gedenkkultur in Spanien ist äußerst schwach. Andere Länder veranstalten Zeremonien, Rituale, sie haben eine Erinnerungskultur. Hier nicht. Deshalb sind viele Familien über den königlichen Besuch empört.

Hängt das mit der Normalisierung Francos durch den Westen während des Kalten Krieges zusammen?

Ja, aber auch mit der Passivität der spanischen Demokratie. Juan Romero, der einzige Deportierte, der auf spanischem Boden geehrt wurde, starb im Alter von 101 Jahren. Erst dann organisierte man eine Zeremonie mit Ministern.

Gab es unter Mitte-Links-Regierungen gar keine Fortschritte?

Einige, aber unzureichend. Franco wurde aus dem Tal der Gefallenen entfernt, aber nun liegt er an einem anderen Ort, der mittlerweile ein faschistischer Altar ist. Ich war vor einigen Tagen mit einem Schweizer Journalisten an seinem Grab. Dort prangt – staatlich betreut und finanziert – franquistische Symbolik, die verboten sein sollte.

Emilio Silva ist Präsident der Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica (Vereinigung zur Wiedererlangung des historischen Gedächtnisses, ARMH)

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