Ein Fall von Hunderten
Von Carmela Negrete
Die politische Gefangene Iratxe Sorzabal ist in Madrid vom Vorwurf des Verübens eines »terroristischen Sprengstoffanschlags« freigesprochen worden. Die Baskin sei nach ihrer Festnahme 2015 »unmenschlicher Behandlung ausgesetzt« gewesen, wie am Donnerstag das Sondergericht Audiencia Nacional, das für Terrorismus- und Korruptionsfälle zuständig ist, urteilte. Sorzabal hatte sich in einer Vernehmung schuldig bekannt, der Untergrundorganisation ETA anzugehören und 1995 an der Plazierung eines Sprengsatzes am Grenzübergang der internationalen Brücke von Santiago in der Stadt Irún (Gipuzkoa) beteiligt gewesen zu sein. Nun erklärt die Audiencia Nacional: Dieses Geständnis sei »rechtlich nichtig, da es unter Verletzung grundlegender Rechte zustande kam«.
2023 waren rund 500 Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und die Guardia Civil aus den Provinzen Bizkaia, Araba, Gipuzkoa und Nafarroa erstmals gemeinsam in Donostia an die Öffentlichkeit getreten. Sie erklärten, dass sie »massiv und systematisch gefoltert worden seien«, wie die Zeitung El Salto berichtete. Jeder vierte Inhaftierte sei gefoltert worden. Insgesamt hätten 5.379 Menschen unter staatlichen Misshandlungen gelitten. Noch immer fordern sie Gerechtigkeit und Wahrheit. Der Freispruch für Sorzabal ist dabei nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei rund 16.000 Festnahmen seit den 1960er Jahren im Rahmen des »baskischen Konflikts« in Spanien wurden über 5.000 Fälle von Folter zur Anzeige gebracht. Doch das seien bei weitem nicht alle, betonen die Betroffenen.
Baskische Gefangene schilderten eine ganze Reihe grausamer Foltermethoden: Schläge auf Genitalien und Ohren; Isolation, Demütigungen, Beschimpfungen; stundenlanges Stehen, Entzug von Wasser und Nahrung, grelles Licht, Erstickungssimulationen; Vergewaltigungen und Drohungen mit Hinrichtung. Madrid setzte auch Staatsterrorismus gegen die baskische Freiheitsbewegung ein, etwa Mordkommandos. Zahlreiche Polizisten und Richter der Franco-Diktatur blieben nach deren Ende im Amt und wandten weiterhin die gleichen Methoden an. Viele Verhaftete waren unschuldig, wie der Leiter der Zeitung Egunkaria, Martxelo Otamendi, der sieben Jahre lang inhaftiert war, um dann freigesprochen zu werden. Otamendi beschrieb ebenfalls Folterungen während seiner Zeit im Knast.
Da sie von der konservativen, antibaskisch geprägten spanischen Justiz regelrecht ignoriert werden, wandten sich mehrere Betroffene an internationale Einrichtungen. 2021 wurde Spanien vom »Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe« des Europarats aufgefordert, entschlossenen Maßnahmen zu unternehmen, »um Misshandlungen im Gefängnis vorzubeugen«. Das ist nicht der einzige Fall, es gab mehrere solche Urteile gegen Spanien. Madrid musste auch bereits Entschädigungszahlungen leisten. Die baskische Regionalregierung hatte sich ebenfalls verpflichtet, für Aufklärung zu sorgen, insbesondere, nachdem die Organisation ETA sich aufgelöst hatte.
Doch viel ist bisher nicht passiert. Von der jetzigen Koalitionsregierung in Madrid ging keine Initiative aus, um das Problem zu lösen, im Gegenteil, denn dadurch könnte sie selbst in Bedrängnis geraten. Schließlich könnten nicht nur weitere Urteile aufgehoben werden – auch der heutige Innenminister Fernando Grande-Marlaska (PSOE) wäre möglicherweise von einer Aufarbeitung des Unrechts betroffen. Bereits 2018 hatten ihn 233 ehemalige Häftlinge beschuldigt, in seiner Zeit als Richter an der Audiencia Nacional mehreren Anzeigen über mögliche Folter nicht nachgegangen zu sein. Marlaska hat bis heute sämtliche Vorwürfe zurückgewiesen.
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