Mileis Verelendungspolitik
Von Volker Hermsdorf
Argentinien erlebt unter Präsident Javier Milei einen der rücksichtslosesten wirtschaftspolitischen Umbauprozesse seit dem Ende der Militärdiktatur. Der selbsternannte »Anarchokapitalist« gefällt sich in der Rolle eines Wirtschaftspolitikers, der die Regeln der neoliberalen Marktlogik mit der Kettensäge durchsetzt. Staatsausgaben und Inflation sinken, doch auch die Reallöhne und die Kaufkraft. Argentinien gehört mittlerweile zu den teuersten Ländern der Region. Im März stieg der Verbraucherpreisindex (VPI) offiziell zwar nur um 3,7 Punkte, die Preise für Lebensmittel jedoch um sechs Prozent. Bei den Quadratmeterpreisen für Wohnraum, die sich auf die Mieten auswirken, liegt Buenos Aires auf Platz vier der teuersten Städte Lateinamerikas. Um den Anschein einer niedrigen Inflation zu wahren, wirft Mileis Wirtschaftsminister Luis Caputo nun die gesamte Literatur der freien Marktwirtschaft über Bord. Unter anderem torpediert er einen Tarifabschluss für die Beschäftigten der Supermarktketten.
Der Lebensmittelsektor hat das größte Gewicht im VPI. Deshalb versucht der Minister nicht nur, Preiserhöhungen im Einzelhandel zu blockieren, sondern auch, Lohnerhöhungen nach unten zu drücken. Wie die Tageszeitung Página 12 am Mittwoch berichtete, hatte Caputo erst kürzlich Vertreter der großen Supermärkte aufgefordert, gegenüber ihren Lieferanten keine höheren Einkaufspreise für Nahrungsmittel zu akzeptieren. Gleichzeitig verlangt er, dass ein Tarifabschluss im Handel neu verhandelt wird, da dieser inklusive fixer Zulagen insgesamt einen Anstieg von 9,6 Prozent vorsieht. Mileis Regierung hat für Lohnerhöhungen dagegen eine Spanne von ein bis drei Prozent vorgegeben, angeblich »um einen sprunghaften Anstieg des Verbraucherpreisindex (VPI) zu verhindern«. Der Abschluss war laut der Zeitung allerdings bereits sowohl von den Unternehmen als auch von der rund 1,2 Millionen Gewerkschaftsmitglieder zählenden »Federación Argentina de Empleados de Comercio y Servicios« (FAECYS) abgesegnet worden. Während Milei üblicherweise propagiert, dass Tarifverhandlungen eine reine Angelegenheit zwischen privaten Wirtschaftsakteuren seien, versuchte sein Minister, Druck auszuüben. »Das wird alles in die Preise eingehen«, warnte Caputo die von ihm am Dienstag ins Wirtschaftsministerium gebetenen Vertreter der im Verband der Vereinigten Supermärkte (ASU) organisierten Handelsketten. Doch die Manager gaben ihm einen Korb und erklärten, dass die Vereinbarung – mit oder ohne staatliche Genehmigung – umgesetzt werde.
»Ihr müsst mir helfen«, soll Caputo daraufhin gebeten haben. Da schon einige Firmen aus dem Ölsektor einem entsprechenden Appell nicht nachgekommen waren, hofft er nun offenbar, dass Supermärkte ihm als Schutzschild gegen explodierende Preise aus der Patsche helfen. Página 12 hatte allerdings bereits vor einem Monat berichtet, dass sich auch mehrere Agrarunternehmen, die zusammen rund 60 Prozent des Markts kontrollieren, weigerten, seiner Forderung nachzugeben. Deshalb wies Caputo Arbeitsminister Julio Cordero an, die Tarifvereinbarung im Handelssektor zu kippen. Cordero lud daraufhin am Dienstag Vertreter der Gewerkschaft FAECYS und der Handelskammer (CAC) ins Arbeitsministerium. Bei dem Treffen baten die Regierungsvertreter darum – in einem, so die Zeitung, »bisher beispiellosen Vorgang« –, die bereits ausgehandelten Lohnerhöhungen wieder zurückzunehmen. Allerdings ohne Erfolg: Beide Seiten lehnten ab.
Der als regierungstreu geltende Handelskammerchef Natalio Mario Grinman sei durch Caputo in eine unangenehme Lage gebracht worden, da er nun ein Tarifabkommen unterstützte, das weit über dem offiziellen Rahmen liegt, kommentierte Página 12. Der FAECYS-Vorsitzende Armando Cavalieri hatte zuvor argumentiert, wenn Inflationsbekämpfung bedeute, jeden Lohnzuwachs zu unterdrücken, dann sei kein nachhaltiges Wachstum möglich. Ein Weg aus der Krise könne aber nur über Wachstum, Produktion und soziale Gerechtigkeit führen. Gegenüber dem Nachrichtenportal Infobae.com hatte Cavalieri am Wochenende bereits gewarnt: »Der Kurs der Regierung führt zu einem Punkt, an dem die soziale Ungleichheit und Unzufriedenheit explodieren könnten.«
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