Purity Ring
Von Maximilian Schäffer
Was ein »Purity Ring« ist, weiß man in Deutschland nur selten. In den USA jedoch hat dieser Talisman evangelikaler Christen hohe Konjunktur. Junge Menschen versprechen sich und der Gemeinde, dass sie bis zur Eheschließung weder Hand an sich noch andere legen. Kein Sex vor der Trauung, »weil ich es mir wert bin«. Zu diesem Zweck kommt gleich ein Ringlein an den jugendlichen Finger, den keuschen Schwur zu besiegeln. Freikirchen erfreuen sich auch hierzulande steigender Beliebtheit. Wo den Konfessionen der Mehrheit die Mitglieder wegsterben, verjüngen sich die biederen Gemeinden strikterer Auslegung. Selbstverständlich gibt es unter den Mikrokirchen Varianten in beide Richtungen: extrem liberale Reformer wie radikal konservative Hardliner.
In »Gotteskinder« geht es um zweitere. Die Geschwister Hannah (Flora Li Thiemann) und Timotheus (Serafin Mishiev) wachsen in einem strengen Elternhaus wiedergeborener Christen auf. Während die Schwester sich als besonders zielstrebige Jugendgruppenleiterin ereifert, kämpft der Bruder mit scheuen Blicken auf die nackten Oberkörper seiner Kameraden beim Fußballtraining. Timotheus muss sich seinem Schwulsein im Angesicht einer (angeblich) wörtlichen Auslegung der Bibel stellen und lässt sich selbst ins Umkehrungsseminar einliefern.
So ein Spielfilm über ein gemäßigtes Christentum allein hätte nur wenig Schauwert. Regisseurin und Drehbuchautorin Frauke Lodders hingegen entwirft ein wahres Horrorszenario im Gefängnis des Glaubens, das schockiert, aber wenig reflektiert. Genügend Realitäten in dieser Welt machen eine Hinwendung zur Orthodoxie zumindest nachvollziehbar – Lebensentwürfe jenseits der liberalen Konsumgesellschaft aber will dieser Film grundsätzlich als Häresie begreifen.
Wahrhaft grausam bis dämonisch handeln alle Erwachsenen gegenüber ihren Kindern, reißen sie aus jedem noch so kleinen Jugendglück. Die Mutter eines Jungen schiebt ihn nach ein paar Wochen Kontakt mit der Gemeinde sofort ins christliche Konzentrationslager ab. Schwule Jungs werden beim Fummeln erwischt und springen von der Brücke. Danach braucht man wirklich nichts mehr. Keine Horrorshow und keine hölzernen Dialoge.
»Gotteskinder«, Regie: Frauke Lodders, BRD 2024, 117 Min., bereits angelaufen
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