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Aus: Ausgabe vom 29.11.2024, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Krise des Kapitalismus

Arme Kranke

Italien: Hunderttausende Patienten können Medikamente nicht bezahlen und verzichten auf Arztbesuche
Von Gerhard Feldbauer
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Doktoren streiken landesweit 24 Stunden gegen die Meloni-Regierung und für bessere Jobbedingungen (Rom, 20.11.2024)

Das Ausmaß der Armut ist erschreckend, besonders im italienischen Gesundheitswesen. Ein Befund, der aus einem Bericht der Beobachtungsstelle für Gesundheitsarmut hervorgeht. Der am Mittwoch in der Abgeordnetenkammer vorgestellte Rapport gibt an, dass im vergangenen Jahr 463.000 Menschen die Kosten für Medikamente nicht mehr aufbringen konnten. Kein Wunder, Pharmakonzerne erhöhten die Preise für Arzneimittel in den zurückliegenden sieben Jahren in summa um 2,5 Milliarden Euro.

Hinzu kommt: Mit rund 102.000 ist ein Viertel der Betroffenen minderjährig. Auch die Zahl derer, die angesichts der steigenden Gesundheitskosten ihre Besuche und Kontrollen bei einem Arzt einschränken oder auf einen Teil ihrer Behandlungen verzichten müssen, nimmt zu. Das betraf 2023 insgesamt mehr als drei Millionen Familien. Das Phänomen betrifft vor allem arme Privathaushalte, von denen jeder vierte mindestens einmal auf Behandlungen oder Arztbesuche verzichten musste. Aber selbst besser situierte Familien können sich bisweilen aus Kostengründen das Aufsuchen einer Arztpraxis nicht leisten. Das Fazit lautet: Eine ärztliche Behandlung ist nicht mehr für jeden Kranken sichergestellt.

Dieser Zustand ist, wie der Gewerkschaftsbund CGIL auf seiner Onlineplattform Collettiva betonte, ein Ergebnis der unter der Regierung von Giorgia Meloni vorgenommenen Einschnitte im Haushalt des öffentlichen Gesundheitswesens. Während die Ministerpräsidentin behauptet, das Gesundheitswesen sei eine »unserer Prioritäten«, und verspricht, den Gesundheitsfonds zu erhöhen, soll in Wirklichkeit knapp die Hälfte des Budgets zusammengestrichen werden, Dadurch dürften dem Gesundheitssektor allein zur Aufrechterhaltung eines Versorgungsminimums mindestens 50 Milliarden Euro fehlen, so Collettiva.

Mit regionalen Unterschieden gehören Ärzte in Italien mit Gehältern zwischen 60.000 und 90.000 Euro pro Jahr zu den am schlechtesten bezahlten in der EU. Das hat, wie die größte italienische Ärztegewerkschaft, ANAAO Assomed, jüngst einschätzte, dazu geführt, dass 2024 40.000 Ärzte fehlten, was für 91 Prozent der Krankenhäuser einen Personalmangel bedeutete. Nach der Streichung von mehr als 32.000 Krankenhausbetten in den vergangenen vier Jahren fehlt es vielerorts an Betten. Zur gleichen Zeit wurden 95 Kliniken geschlossen, haben rund 11.000 Ärzte das öffentliche Gesundheitswesen verlassen. Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen, Personalmangels und Überbelastung kündigten im Schnitt täglich weitere sieben Ärztinnen oder Ärzte ihren Krankenhausjob.

Vor einer Woche, am 20. November, wiesen 200.000 Ärzte, Gesundheitsmanager, Krankenschwestern und weitere Beschäftigte in Gesundheitsberufen in einen landesweiten 24-Stunden-Streik darauf hin, dass Ärzte gezwungen sind, sogar 24 Stunden am Stück zu arbeiten, weil inzwischen 30.000 Ärzte und 300.000 Pflegekräfte fehlen. Den Krankenhäusern, auch den privaten, würden im Staatshaushalt 2025 »völlig unzureichende Ressourcen zugewiesen«. Die Protestierenden fordern neue und bessere Arbeitsverträge, die sofortige Einstellung von mehr Personal, die Nichtbesteuerung eines Teils des Lohnes und die Erhöhung der pflegespezifischen Zuschüsse. Von Klinikbeschäftigten heimlich gemachte Aufnahmen zeigten schockierende Bilder: Auf den Fluren in den Betten liegende unversorgte kranke und verletzte Menschen.

Der Präsident der Stiftung »Banco Farmaceutico ETS«, Sergio Daniotti, warnte in dem Zusammenhang vor einer weiteren Zunahme des Elends, denn das Armutsreservoir sei scheinbar unerschöpflich. Nach jüngsten Informationen des Statistikamtes Istat leben zirka 2,4 Millionen Familien und 5,75 Millionen Einzelpersonen in absoluter Armut. Damit hat die Zahl dieser Ärmsten der Gesellschaft gegenüber 2014 um 2,3 bzw. 2,9 Prozent zugenommen. Das sind seit zehn Jahren die höchsten Werte.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (29. November 2024 um 16:38 Uhr)
    Auf jeden Italiener kamen 2023 Staatsschulden in Höhe von etwa 48.700 Euro. Das war etwa das 1,3fache der jährlichen wirtschaftlichen Bruttoleistung des Landes. Mit dem Verbrauch steht das Land also schon mitten im Frühling 2026, während noch fleißig am Produkt für 2024 gearbeitet wird. Bevor einer da lauthals ruft: »Ja, die Italiener!« In allen westlichen Industriestaaten sieht die Lage nicht viel besser aus. Überall dort sind die Staaten eigentlich längst pleite und versuchen sich das nur nicht anmerken zu lassen. Genau deshalb wird auch überall, wo es ums Soziale geht, gespart, dass die Schwarte nur so knackt. Nicht nur Italien ist eigentlich nicht mehr regierbar. Wir werden uns noch wundern, wo es (auch in Deutschland) noch hingeht, wenn die Mittel für die Zukunft des Volkes längst ausgegeben sind. Deshalb sollen es in Italien ja nun auch die Faschisten richten mit der Gesundung des Volkes und seiner Staatsfinanzen.

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