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Aus: Ausgabe vom 17.09.2024, Seite 6 / Ausland
Kolumbien

Filmreifer »Pegasus«-Deal

Kolumbien: Rechte Vorgängerregierung soll israelische Spionagesoftware mit Drogengeldern gekauft und Opposition und Justiz belauscht haben
Von Elias Korte, Bogotá
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Freund oder Feind? Polizeiwache vor dem Justizpalast in Bogotá (16.8.2024)

Für führende Vertreter der ehemaligen kolumbianischen Rechtsregierung unter Präsident Iván Duque könnte es ein unangenehmes Nachspiel geben. Denn Kolumbiens amtierender linker Präsident Gustavo Petro teilte Anfang September in einer TV-Ansprache mit, dass unter seinem Amtsvorgänger die israelische Spionagesoftware »Pegasus« gekauft und wahrscheinlich illegal eingesetzt wurde. Die kolumbianische Generalstaatsanwaltschaft hat mittlerweile ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Petro wirft der Vorgängerregierung vor, »Pegasus« bewusst während der wochenlangen Sozialproteste 2021 und vor Beginn der Wahlkampagnen angeschafft zu haben, um die linke Opposition auszuspionieren. Auch Richter und Staatsanwälte sollen überwacht worden sein. Besonders brisant: Der Kauf des Spionagevirus soll mit Bargeld erfolgt sein, das zuvor von einer Drogenbande beschlagnahmt wurde.

»Pegasus« ist eine Software zur Ausforschung von IOS- und Android-Geräten der israelischen NSO Group Technologies Limited. Der Export dieser Technologie wird von der israelischen Regierung überwacht. Sie entscheidet, an wen verkauft wird und an wen nicht. Ein mit dem »Pegasus«-Virus infiziertes Endgerät ist fremdkontrolliert und ermöglicht den unbemerkten Zugriff auf sämtliche Daten und ihre Weiterleitung. Auch das Aktivieren der Kamera und des Mikrofons ist möglich, womit sich beispielsweise Sitzungen überwachen lassen.

Wie der israelische Journalist Gur Megiddo in der Tageszeitung Haaretz bereits im März schrieb, soll das Unternehmen NSO »Pegasus« 2021 für 13 Millionen US-Dollar an Kolumbien verkauft und das Geld in bar per Privatflugzeug erhalten haben. Der filmreife Deal soll demnach von Jair Kulas, dem Exportchef des israelischen Verteidigungsministeriums, unterstützt worden sein, indem dieser bei der Bank Hapoalim für die Legitimität bürgte und sich für eine Genehmigung der Transaktion einsetzte. Dadurch habe das Geld trotz Geldwäschebedenken eingezahlt werden können, berichtete Megiddo. Der NSO-Gruppe soll Kulas ein Schreiben ausgestellt haben, damit das Unternehmen bei künftigen Kontrollen keine Probleme bekommt. Der Exportchef ist ungeachtet der verdächtigen Geldströme weiter in seiner Position für die Regierung von Benjamin Netanjahu tätig.

In seiner Fernsehansprache berief sich Petro auf ein Schreiben der israelischen Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche, genannt IMPA, in dem diese bestätige, dass am 27. Juni 2021 fünfeinhalb Millionen US-Dollar per Flugzeug von Bogotá nach Tel Aviv geschickt wurden. Am 22. September 2021 sei dann noch eine Einzahlung über weitere fünfeinhalb Millionen US-Dollar erfolgt, um den Kauf bei der NSO-Gruppe. Laut IMPA haben diese Transaktionen in Höhe von insgesamt elf Millionen US-Dollar zwischen der kolumbianischen Polizeinachrichtendienstdirektion Dipol und NSO stattgefunden. Wie es zu der Differenz in der Gesamtsumme bei Megiddo und bei IMPA kommt, ist nicht geklärt. Durch die in Bargeld erfolgte Bezahlung ist außerdem offen, welche Interessen Dritter möglicherweise beim Kauf im Spiel waren.

»Alles deutet darauf hin, dass es sich um eine geheime Operation des ehemaligen Generaldirektors der kolumbianischen Nationalpolizei, Jorge Luis Vargas Valencia, handelt«, berichtete die liberale Tageszeitung El Espectador unter Berufung auf eine Quelle im Verteidigungsministerium, die um Anonymität bat. Expräsident Duque schweigt bisher zu den Vorwürfen.

Am 5. September teilte die Generalstaatsanwaltschaft Kolumbiens mit, dass sie Ermittlungen eingeleitet hat, »um die Wahrheit herauszufinden und die Verantwortlichen für den wahrscheinlich illegalen Erwerb und die Verwendung der Spionagesoftware ›Pegasus‹ durch die Direktion für polizeiliche Aufklärung der Nationalen Polizei (Dipol) zu ermitteln, die Mitte 2021 von der israelischen Firma NSO Group erworben wurde«. Im Rahmen der Untersuchungen soll auch herausgefunden werden, woher das Geld für den Kauf stammte, ob die Nationalpolizei über die Software verfügt und unter welchen gesetzlichen Bestimmungen sie gegebenenfalls verwendet wurde. Wie der Fernsehsender Señal Colombia berichtete, sei »Pegasus« der Petro-Regierung bei Übernahme der Regierungsgeschäfte nicht übergeben worden.

Die Frage ist also, bei wem die Software nun ist und wer die Kontrolle über sie hat. Ein weiterer Schritt zur Aufklärung soll eine nichtöffentliche Anhörung am 18. September im Senat sein, bei der sich Vertreter der Polizei, des Militärs, des Geheimdienstes und des Verteidigungsministeriums zu dem Sachverhalt äußern sollen. Petro kündigte an, den Bürgern ein technisches Tool zur Verfügung zu stellen, mit dem Spuren einer »Pegasus«-Infektion auf den Smartphones aufgespürt werden können. Er appellierte besonders an Jugendliche, die während der Proteste 2021 mit verschwundenen oder getöteten Protestierenden in Kontakt standen, von dem Überprüfungswerkzeug Gebrauch zu machen. Laut dem kolumbianischen Institut für Entwicklungs- und Friedensstudien Indepaz sind während des Volksaufstandes 2021 80 Menschen getötet worden. Zahlreiche weitere Personen sind verschwunden, 23 davon wurden tot aufgefunden.

Ob »Pegasus« auch für die Überwachung von Richtern und Staatsanwälten eingesetzt worden sein könnte, ist ebenfalls Gegenstand von Ermittlungen. Von ihnen mit dem Auffinden von Spionagesoftware betraute Experten haben Belege für das Abfangen von Daten gefunden. Unbekannt ist noch, mit welcher Software dies geschehen ist. Laut El Espectador sollen mindestens 15 Richter des Verfassungsgerichts, des Obersten Gerichtshofs und der Sondergerichtsbarkeit für den Frieden nach den neuesten Veröffentlichungen um eine Untersuchung ihrer Fälle gebeten und bereits gegenüber der Staatsanwaltschaft ausgesagt haben. Eine nicht genauer beschriebene Person habe außerdem berichtet, dass sie mit »Pegasus« abgehört wurde.

Zu klären ist zudem, ob »Pegasus« im Wahlkampf gegen die linke Opposition eingesetzt wurde. Eine Woche vor der entscheidenden Stichwahl im Juni 2022 waren Aufnahmen von vertraulichen Gesprächsrunden aus der Wahlkampfzentrale der Petro-Kampagne veröffentlicht worden. Dies könnte mit Hilfe der Spionagesoftware vorbereitet worden sein. Eine umfangreiche Aufklärung rund um den Kauf und den Einsatz von »Pegasus« gestaltet sich jedoch schwierig. Nicht zuletzt deshalb, weil Petro die diplomatischen Beziehungen zu Israel wegen des Genozids in Gaza abgebrochen hatte, ist nicht mit israelischer Hilfe bei der Aufklärung zu rechnen.

Der neue Skandal um den Kauf der Spionagesoftware »Pegasus« ist ein weiteres Kapitel in der langen Historie der militärischen und geheimdienstlichen Kooperation zwischen Israel und Kolumbien, die in der Vergangenheit auch das Trainieren extrem rechter Paramilitärs und Drogenbanden durch die israelische Söldnerfirma Spearhead Limited von Jair Klein beinhaltete. Diese war in den 1980er Jahren an der Vernichtung der linken Partei Unión Patriótica beteiligt.

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