Berichte aus Trümmerwüste unerwünscht
Von Gerrit HoekmanEs ist nicht das erste Mal, dass der panarabische Sender Al-Dschasira von israelischer Seite angegriffen wird. Allerdings kommt das Verbot, das am Sonntag mit Razzien und der Beschlagnahmung von Equipment durchgesetzt wurde, zu einem Zeitpunkt, da sich die Verhandlungen zwischen Hamas und Tel Aviv an einem kritischen Punkt befinden und der Angriff auf Rafah unmittelbar bevorsteht. In Israel ist der Sender nun weder über Kabel noch über Satellit zu empfangen. Offenbar soll die israelische Bevölkerung nicht mehr sehen, was ihre Armee im Gazastreifen anrichtet. Al-Dschasira ist eine der wenigen TV-Stationen, deren Reporter nach wie vor live aus der Trümmerwüste berichten.
»Der Hetzsender Al-Dschasira wird in Israel geschlossen«, hatte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Aktion angekündigt. Das Kabinett habe den Schritt einstimmig genehmigt. Das Parlament hatte am 1. April ein Gesetz verabschiedet, nach dem ausländische Rundfunkanstalten vorübergehend dichtgemacht werden können, wenn sie die nationale Sicherheit bedrohen. Das sieht die Regierung im Fall von Al-Dschasira als gegeben an. Die Schließung soll deshalb solange bestehen bleiben, wie der Krieg andauert. Das israelische Vorgehen ist nicht nur ein eklatanter Verstoß gegen die Pressefreiheit, sondern auch ein Schlag ins Gesicht des Emirats Katar, das gemeinsam mit Ägypten und den USA seit Wochen einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas zu vermitteln versucht. Katar finanziert den TV-Sender. Die katarische Regierung äußerte sich offiziell bis jetzt nicht zu dem Vorfall.
Das hinter dem Sender stehende »Al-Dschasira Media Network« sprach hingegen von einem »kriminellen Akt, der die Menschenrechte und das Grundrecht auf Zugang zu Informationen verletzt«. Die Fernsehstation habe das Recht, »ihrem weltweiten Publikum weiterhin Nachrichten und Informationen bereitzustellen«. Die von Israel erhobene Anschuldigung sei »eine gefährliche und lächerliche Lüge«. Bereits im vergangenen Monat beklagte Al-Dschasira »eine Reihe systematischer israelischer Angriffe«, um den Sender zum Schweigen zu bringen. Mehrere Reporter seien im Gazastreifen gezielt getötet worden, unter anderem der belgisch-palästinensische Journalist Samir Abu Dakka und Hamsa Dahduh, der älteste Sohn des Leiters des Al-Dschasira-Büros in Gaza, Wael Dahduh. Nach Angaben des »Komitees zum Schutz von Journalisten« wurden bis jetzt insgesamt 97 Kolleginnen und Kollegen im Gazakrieg getötet.
Auch international stößt das Verbot auf scharfe Kritik. Vom UN-Menschenrechtsbüro hieß es auf X: »Freie und unabhängige Medien sind für die Gewährleistung von Transparenz und Rechenschaftspflicht unerlässlich. Dies gilt um so mehr angesichts der strengen Beschränkungen für die Berichterstattung aus Gaza. Die Meinungsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht. Wir fordern die Regierung auf, das Verbot aufzuheben.« Der Sicherheitsberater der US-Regierung, John Kirby, erklärte am Montag: »Wir unterstützen diese Aktion nicht.« Tim Dawson von der International Federation of Journalists erinnerte gegenüber Al-Dschasira daran, dass dies leider Teil einer langen Reihe von Maßnahmen sei, »die die israelische Regierung ergriffen hat, um die freie Berichterstattung über diesen Konflikt zu verhindern«. Im Widerspruch dazu lege das Land »großen Wert darauf, eine Demokratie zu sein, und ich finde die Idee, dass es einen internationalen Sender von beträchtlichem Ruf und Geschichte einfach schließen kann, abscheulich«.
Eine Verurteilung des Vorgehens wollte man in Berlin nicht vornehmen. Auf die Frage der jungen Welt, ob die Schließung der TV-Station Auswirkungen auf die aktuell noch laufenden Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Gazastreifen haben könne, erklärte die Außenamtssprecherin Kathrin Deschauer auf der Bundespressekonferenz am Montag: »Wir werden alles daran setzen, auch in Gesprächen, dass das hohe Gut der Pressefreiheit gewährleistet wird.« Aber in der jetzigen Situation müssten alle Seiten Anstrengungen unternehmen, »damit es zu einer humanitären Feuerpause kommt und die Geiseln befreit werden können«. Al-Dschasira trage dazu bei, die Berichterstattung in einem Konfliktgebiet zu gewährleisten. Die Erfahrung zeigt jedoch: Appelle in Richtung der israelischen Regierung verhallen ungehört wie der Schrei eines Dromedars im Wüstensturm.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Detlev R. aus Tshwane, Südafrika (7. Mai 2024 um 21:32 Uhr)Ergänzend wäre zu erwähnen, dass Al Jazeera auch in Indien ein Verbot ereilt hat. Die rechte Hindu-nationalistische Regierung des Premierministers Narendra Modi hat dem Sender untersagt, über die derzeitigen Parlamentswahlen in Indien zu berichten. Al Jazeera, als panarabisches Nachrichtenmedium, berichtet u.a. beispielsweise kritisch über Angriffe fanatischer Anhänger der Hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) auf die moslemische Bevölkerung Indiens. Für BJP-Führer Modi und die Seinen ist ob solcher Kritik offenbar die Pressefreiheit in der »größten Demokratie der Welt« beendet.
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