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Aus: Ausgabe vom 14.03.2024, Seite 11 / Feuilleton
Klassik

Zurück ins Licht

Vergnügen für die Solovioline: Isabelle Faust spielt fast vergessene Barockkomponisten
Von Stefan Siegert
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Strotzend vor Farbenpracht: Isabelle Faust haucht den Tönen Leben ein

Die Geige. Ein seltsam Ding. Gefertigt aus dem Holz uralter Bergfichten, ein geschwungener Kasten bespannt mit Tiergedärm. Was für Töne lassen sich ihm entlocken! Man denkt an Paganini, ans Beethoven-Konzert oder an, wer sie kennt, Giacinto Scelsis wunderbare Capricen. Als Violinheiligtum gelten Bachs (1685–1750) Sonaten und Partiten für Solovioline, was gibt es Schöneres als die Chaconne d-Moll?

Gewiss nichts Schöneres und Bedeutenderes. Aber es gab Zeitgenossen Bachs, auch ältere, meist selbst große Geiger, die Musik für die Solovioline komponierten. Isabelle Faust stellt diese »Meister im Schatten« mit einer neuen CD wohin sie gehören, ins Licht. Faust spielt wie eine geborene Barockgeigerin, freilich eine des 20. und 21. Jahrhunderts, die in ihrer Ausbildung und Karriere alle Höhen und Tiefen einer zweihundertjährigen Aufführungstradition überlebte. Ihre Doppelgriffe auf einer Barockgeige von Jacob Stainer strotzen vor Farbenpracht, ihre Triller sind rokokohaft flüchtig. Sie braucht kein Vibrato, um den langen Tönen, weich oder spitz, Leben einzuhauchen. Den Bogen sehr nah am Griffbrett, kann sie auf der Geige raunen und verhauchen.

Johann Georg Pisendel (1687–1755) oder Heinrich Ignaz Franz Biber (1644–1704) sind vielleicht etlichen bekannt. Aber Vater und Sohn Nicola Matteis? Oder die Namen Louis-Gabriel Guille­main (1705–1770) und Johann Joseph Vilsmayr (1663–1722)? Faust holt sie alle hervor. Das Problem barocker Soloviolinisten: die Melodiestimme musste auf den nur vier Saiten einer Geige immer wenigstens andeutungsweise Mittelstimmen und Bassbegleitung mitspielen, das hing ihr bisweilen wie ein Klotz am Bein. Guillemain löste das Problem, indem er, die Zweistimmigkeit aussetzend, ziemlich in die Mitte seines achtteiligen »Amusement pour le violon seul« eine durchgehend einstimmige Aria setzte – ideal für Fausts sangliche Tongebung und schatten- wie abwechslungsreiche Phrasierungskunst.

Der Geigerkomponist Heinrich ­Ignaz Franz Biber, 40 Jahre älter als Bach, führt die Zweistimmigkeit einer Solovioline in seiner Passacaglia gipfelnd in die funktionierende Illusion über, da spielten zwei. Faust auf der tiefen Saite gibt als Bassfundament vier absteigende Noten vor. Auf das Zeitmaß der im Ohr verklingenden Basstöne legt sie – mit blitzschnellen Fingern von der tiefen zur hohen Saite und zurück springend – zwischen den absteigenden Tönen variative Improvisationen auf die harmonische Disposition des Bassgangs. Man weiß nicht, ob es schwerer ist, sich so etwas auszudenken oder schwerer, es so zu spielen. Dass Faust es spielt wie selbsterfunden, muss bei aller Leidenschaft am Bedacht liegen, mit dem sich diese Solistin den Noten widmet.

Eine Hommage an den Nichtgeiger Sebastian Bach, der zu den Meistern dieses Albums in interaktiver Beziehung stand. Sie haben von ihm genommen, was er, den Sack Sologeige für viele Jahre zumachend, von anderen an Anregungen bekam. Analog zum Denkmal könnte man es ein »Hörmal« nennen, was Isabelle Faust den a cappella Geigenden und ihren barocken Komponisten da errichtet hat. Als ein »Hörmalrein« eine schöne Empfehlung.

Isabelle Faust: »Solo« (Harmonia Mundi France)

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