Endlich Klartext: Leichte Sprache
Von Marc HieronimusÖffentliche Einrichtungen und Organe veröffentlichen spätestens seit 2020 die wichtigsten ihrer Verlautbarungen auch »barrierefrei« in »Leichter Sprache«. Charakteristisch für sie sind kurze Sätze und Wörter, die Hervorhebung von Negation und die Vermeidung von Fremdwörtern. Eigentlich ist sie dafür gedacht, Menschen mit sprachlichen oder geistigen Schwächen zur »gesellschaftlichen Partizipation«, also nicht zuletzt zum Ankreuzen der richtigen Parteien auf dem Wahlzettel anzuhalten, oft sprechen die Gewähltwerdenwollenden hier mal ausnahmsweise Klartext. Man vergleiche:
»Wenn Mitgliedstaaten zu hohe Schulden anhäufen, sollen sie dafür auch die Verantwortung tragen. Wir fordern ein festes Regelwerk mit klaren Konsequenzen. Bei einem Defizitverfahren sollen künftig automatisch Sanktionen greifen.«
(Wahlprogramm der FDP zur EU-Wahl 2019)
mit dieser Darstellung:
»Vielleicht macht ein Land in der EU sehr viele Schulden. Das ist die Schuld von diesem Land. Dieses Land muss dann automatisch eine Strafe bekommen.«
(ebd., in Leichter Sprache)
Die Botschaft: Wer Schulden hat, ist selber schuld. Das ist das Schwierige einfach gemacht, Bert Brecht würde sich über die Klarheit freuen. Ein in Leichter Sprache formuliertes Blatt zur Errichtung eines »Entsorgungsparks« könnte dementsprechend wie folgt lauten:
»Menschen müssen einkaufen. Dabei entsteht Müll. Manchmal entsteht Sondermüll. Man darf Sondermüll nicht wegwerfen. Man muss diesen Müll entsorgen. Entsorgen bedeutet: Wir müssen uns keine Sorgen machen.
Techniker wissen viel. Techniker sagen: Unser Dorf ist sehr wichtig. Warum? In unserem Dorf gibt es eine Höhle. Eine Höhle ist ein Loch im Berg. In dieser Höhle kann man Sondermüll entsorgen. Das bedeutet: Alle Menschen können weiter einkaufen und sich freuen.«
Hungernde Schriftsteller und Vollgermanistinnen können sich mit der Anfertigung solcher Übersetzungen zur Zeit noch ein Zu- oder sogar Erstbrot verdienen. Nämlich so lange, bis KI Zynismus gelernt hat.
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