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Aus: Ausgabe vom 13.03.2024, Seite 4 / Inland
Milliarden für die Truppe

Tornister ohne Boden

Bundeswehr-Beauftragte des Bundestages legt Bericht für 2023 vor. Immer mehr Milliarden für Truppe und Infrastruktur eingefordert
Von Marc Bebenroth
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Hofft auf Geldsegen für die Streitkräfte: Eva Högl (SPD) im Saal der Bundespressekonferenz (Berlin, 14.3.2023)

Das Finanzierungsloch namens Bundeswehr scheint grenzenlos: Allein für die bestehenden Kasernen herrsche ein »Investitionsbedarf« von 50 Milliarden Euro, erklärte die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl (SPD), in einem am Dienstag veröffentlichten Gespräch mit der Redaktion des Bundestags. Anlass war, dass Högl am selben Tag der Bundestagspräsidentin, Bärbel Bas (SPD), ihren aktuellen Jahresbericht für 2023 überreicht hat. Vom 2022 ins Grundgesetz geschriebenen »Sondervermögen« – Kreditermächtigungen in Höhe von 100 Milliarden Euro – seien Ende 2023 bereits zwei Drittel »gebunden« gewesen, sagte Högl. Es brauche künftig viele weitere Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt für die Truppe, was der Vorsitzende der Lobbyvereinigung »Deutscher Bundeswehrverband«, Oberst André Wüstner, am Dienstag morgen in der ARD bereits vorab sekundierte.

Höchste Priorität habe die Gewinnung neuer Soldatinnen und Soldaten, erklärte Högl. Bei der »Personalgewinnung« bestehe ein »massives Problem«. Die Truppe »schrumpft und altert«, die Abbruchquote sei hoch, zahlreiche Stellen seien unbesetzt. Dabei befürworten 52 Prozent der Bevölkerung einen Zwangsdienst bei den Streitkräften für junge Menschen, wie aus dem am Dienstag veröffentlichten Ergebnis einer Forsa-Umfrage für das Magazin Stern und den Sender RTL hervorgeht. Allerdings fordern dies vor allem Menschen ab 60 Jahren (59 Prozent). Die potentiell betroffenen 18- bis 29jährigen sind mehrheitlich (59 Prozent) dagegen.

In dem von Högl nun überreichten 175 Seiten langen Dokument findet sich eine Reihe von Gründen dafür – auch wenn die Sozialdemokratin darin eher Gründe für einen höheren Militäretat sieht. So räumt das Papier ein, dass die Bundeswehr auf eine Art Wehrpflicht überhaupt nicht vorbereitet wäre: »Es fehlen Unterkünfte, Ausrüstung sowie Ausbilderinnen und Ausbilder.« Bei Truppenbesuchen habe Högl von Kritik unter anderem an der Ersatzteilbeschaffung, der persönlichen Ausrüstung, an der Verpflegung, den Unterkünften und bürokratischen Hürden erfahren.

Laut Bericht kam es darüber hinaus auch 2023 zu Kollektivbestrafungen durch Ausbilder, gegen die rechtlich vorgegangen sei. Im Berichtsjahr seien zudem offiziell 15 Selbsttötungen, drei weniger als im Vorjahr, sowie 75 Suizidversuche (2022: 64) registriert worden. In fünf Fällen habe man einen Bezug zu einer PTBS-Erkrankung unter anderem nach Auslandseinsätzen und durch Einsatzbelastung festgestellt. Soldatinnen und Soldaten beklagten gegenüber Högl den Mangel an psychotherapeutischer Versorgung. Auch »viele Bereiche des Sanitätsdienstes« leiden laut Bericht unter zahlreichen unbesetzten Dienstposten. Schließlich herrsche »starke Konkurrenz mit dem zivilen Bereich«.

Das Durchschnittsalter der Soldatinnen und Soldaten stagniere, es sei »von 33,5 auf 33,8 Jahre gestiegen«. Im Berichtszeitraum wurden allerdings, wie in den Jahren zuvor, Minderjährige in die Bundeswehr aufgenommen. 2023 waren es 1.996 (2022: 1.773). Diese hätten »10,6 Prozent aller Dienstantritte« ausgemacht. Von ihnen verließen innerhalb der Probezeit nur rund 27 Prozent die Bundeswehr. Högls Bericht notiert, dass es Kritik an dieser Praxis gibt. »Aufgrund des Nachwuchskräftemangels und der Konkurrenz mit zivilen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern möchte die Bundeswehr auf dieses Potenzial jedoch nicht verzichten.«

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (13. März 2024 um 16:26 Uhr)
    Auch der Erste Weltkrieg wurde mit Kriegskrediten finanziert, die damals allerdings noch nicht euphemistisch als »Sondervermögen« getarnt waren, gleichwohl jedoch ebenso schon regelmäßig die volle Zustimmung der SPD fanden. Dass Arbeiter auf Arbeiter schießen und dieses gegenseitige Massenabschlachten als Arbeiterklasse auch noch selbst finanzieren, dagegen hatten die ewigen Klassenverräter also auch schon vor über hundert Jahren nichts einzuwenden. Und daran hat sich bis heute leider auch nichts geändert. Weder Verdun noch Stalingrad haben auch nur den geringsten Lernprozess in Gang setzen können. Selbst der alte Mann in Rom wird zum einsamen Rufer in der Wüste, dem als Antwort der Irren entgegenschallt: »Steinigt ihn!« - Wo bleibt da noch Hoffnung?

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