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Aus: Ausgabe vom 29.02.2024, Seite 4 / Inland
Staat und RAF

Schleier, Raster, Sensationen

Nach Festnahme von Daniela Klette: Ebenfalls festgenommene Person entlassen. Rote Hilfe kritisiert Fahndungsinszenierung und Berichterstattung
Von Kristian Stemmler
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Da brennt noch Licht: Polizisten bewachen den Eingang eines Mietshauses in Kreuzberg (28.2.2024)

Erst die Öffentlichkeitsfahndung, dann mehrere Festnahmen: Strafverfolgungsbehörden und angeschlossene Medien inszenieren gerade eine Show um untergetauchte mutmaßliche ehemalige Mitglieder der vor einem Vierteljahrhundert aufgelösten »Roten Armee Fraktion« (RAF). Da wird im Eifer auch mal danebengehauen: Eine im Zusammenhang mit der Festnahme von Daniela Klette am Montag oder Dienstag ebenfalls festgenommene Person musste inzwischen wieder entlassen werden, wie das federführende Landeskriminalamt Niedersachsen am Mittwoch mitteilte. »Zweifelsfrei handelt es sich nicht um einen der beiden noch flüchtigen Straftäter«, hieß es. Am Mittwoch nachmittag berichtete dann zuerst die Hannoversche Allgemeine Zeitung, es gebe nun noch eine dritte inhaftierte Person. Dafür lag zunächst keine Bestätigung des Landeskriminalamts vor.

Daniela Klette sitzt unterdessen im Frauengefängnis der Justizvollzugsanstalt (JVA) Vechta in Untersuchungshaft, wie mehrere Medien übereinstimmend berichteten. Beim Ermittlungsrichter am Amtsgericht Verden habe sie zu den Vorwürfen keine Angaben gemacht, wie eine Sprecherin des niedersächsischen Justizministeriums sagte. Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe erklärte am Mittwoch, dass der vor Jahren erwirkte Haftbefehl gegen Klette weiterhin in Kraft ist.

Die Berliner Polizei setzte derweil die Spurensicherung in Klettes Wohnung in Berlin-Kreuzberg fort. In dem siebenstöckigen Gebäude aus den Nachkriegsjahrzehnten hatte die 65jährige angeblich mit einem falschen italienischen Pass gelebt. Der Hinweis, der zur Verhaftung führte, soll schon im November 2023 eingelaufen sein – also bereits vor dem Auftritt der Ermittler in der ZDF-Sendung »Aktenzeichen XY … ungelöst« im Februar.

Konkret wird Klette vorgeworfen, gemeinsam mit Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg im März 1993 einen Sprengstoffanschlag auf die im Bau befindliche JVA Weiterstadt verübt zu haben. Weiter soll Klette laut Anklagebehörde mit anderen RAF-Mitgliedern versucht haben, im Februar 1990 einen Sprengstoffanschlag auf ein Gebäude der Deutschen Bank in Eschborn zu verüben und ein Jahr später mit anderen RAF-Angehörigen mindestens 250 Schüsse auf die US-Botschaft in Bad Godesberg abgegeben haben. Seither habe Klette mit Staub und Garweg zwischen 1999 und 2016 mehrere Raubüberfälle auf Geldtransporte und Supermärkte zur Geldbeschaffung durchgeführt.

Die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe e. V. erklärte am Mittwoch, die Situation erinnere an die 70er und 80er Jahre »mit Schleierfahndung, Rasterfahndung und ständigen Sensationsberichten«. »Sobald das Kürzel ›RAF‹ auftaucht, springt eine Maschine an und Behörden wie bürgerliche Politik überflügeln sich mit nahezu inhaltsleeren Statements, die den Sieg des ›Rechtsstaates‹ feiern«, sagte Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Organisation gegenüber jW. Viele Medien übernähmen »ohne jede Differenzierung die Sprechweise der Verfolgungsbehörden«. Da sei von einer »RAF-Terroristin« die Rede, ohne dass darauf hingewiesen wird, dass zur Feststellung einer Mitgliedschaft in der RAF ein Prozess und ein Urteil gehören.

Die Rote Hilfe rufe dazu auf, dass linke Gruppen und Grundrechtsorganisationen diese Problematik thematisieren und »dabei auch Grundrechtsaspekte betonen«, sagte Sommerfeld. Es sei jetzt wichtig, dass eine kritische und linke Öffentlichkeit »genau beobachtet und kommentiert, was mit der Gefangenen Daniela Klette passiert und wie ihre Haftbedingungen sind«. Bei der aktuellen Berichterstattung und den Statements der Behörden gehe es auch darum, linke Politik zu diskreditieren. Sommerfeld: »Bestimmt wird auch wieder versucht werden, verschiedene linke Gruppen in Zusammenhang mit der RAF zu bringen, entweder um ermitteln zu können oder gezielte Stigmatisierung zu betreiben.«

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