4. Mai, Diskussion zu Grundrechten
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Aus: Ausgabe vom 17.02.2024, Seite 7 / Ausland
Putsch in Ukraine

»Sieg der Ideen«

Zur Rolle des Bandera-Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten bei der »Revolution der Würde«
Von Moss Robeson
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Ukrainische Faschisten der 1990 gegründeten UNA-UNSO in Kiew (29.1.2014)

Die Bandera-Fraktion der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B) spielte bei der auch als »Euromaidan« bekannten »Revolution der Würde« eine zentrale Rolle. Ihr Hauptquartier liegt keine 20 Minuten Fußweg vom Maidan Nesaleschnosti in Kiew entfernt. Miteigentümer des Gebäudes ist eine in München angesiedelte Fassadenstruktur der OUN-B. Der Unabhängigkeitsplatz war ab Winter 2013 ­Zentrum der »Euromaidan«-Proteste, die im Februar 2014 in einem Putsch von welthistorischer Bedeutung gipfelten.

Speerspitze der Rechten

Trisub, der ehemalige paramilitärische Arm der OUN-B, der seit seiner Gründung 1993 eng mit einer nationalistischen Fraktion des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) kooperierte, bildete die Speerspitze des Rechten Sektors. Diese Sammelbewegung faschistischer und anderer ultrarechter Organisationen führte die gewalttätigen Straßenschlachten auf dem Maidan an. Eine direktere Rolle spielte die OUN-B im weniger bekannten, aber wichtigen »Zivilen Sektor des Maidan«, der laut der vorwiegend von der US-Regierung finanzierten NGO Freedom House das Protestcamp »für viele Wochen zu einem sozial nachhaltigen Organismus geformt hat«. So gehörte etwa der banderistische »Erinnerungszar« der Ukraine, Wolodimir Wiatrowitsch, dem »zivilen Sektor« an und soll eines der Maidan-Bataillone befehligt haben. Die OUN-B hatte auch einige hochrangige Mitglieder in der faschistischen Swoboda-Partei, darunter deren Ideologe Olexander Sitsch, der 2014 erster stellvertretender Ministerpräsident der Ukraine wurde. Ebenso Jurij Sirotiuk, Leiter der Abteilung für politische Bildung von Swoboda, von dem der Begriff »Revolution der Würde« stammen soll.

Andrij Lewus, der 2022 öffentlich bekanntgab, dass er Vizevorsitzender der internationalen OUN-B ist, war über lange Jahre Assistent des Kommandeurs der »Maidan-Selbstverteidigungskräfte«, Andrij Parubij, der auch zu den Mitbegründern der Sozial-nationalen-Partei, Vorläufer von Swoboda, gehörte. 2013 arbeitete Lewus eng mit dem Politiker und Ex-SBU-Beamten Sergij Bondartschuk zusammen, der Anfang November den »Beginn des ›Euromaidan‹« angekündigt hatte. Noch im selben Monat richteten die beiden im Rahmen ihrer Kampagne »Eurooffensive« ein Informationszentrum auf dem Unabhängigkeitsplatz ein. Dieses wurde vor allem als Rekrutierungsbüro für die »Maidan-Selbstverteidigung« genutzt. Während des mysteriösen Scharfschützenmassakers am 20. Februar 2014, das den Staatsstreich ermöglichte, verhandelte Andrij Lewus mit einem Regierungsbeamten über einen Waffenstillstand. Gegenüber der New York Times erklärte er, dass er auf eine weitaus blutigere Konfrontation vorbereitet gewesen sei. Nach der »Revolution« wurde er zum stellvertretenden Direktor des SBU ernannt.

Koordination des Maidan

Am 22. November 2013, dem Tag nach dem ersten »Euromaidan«-Protest, fand in der OUN-B-Zentrale in Kiew ein Treffen des World Council of Ukrainian Statehood Organizations statt, der früher unter dem Namen World Ukrainian Liberation Front bekannt war. Dabei handelt es sich um das internationale Koordinierungsgremium der Fassadenstrukturen der OUN-B, die während des Kalten Krieges Befehle aus München erhalten hatten. Die Diasporaführer der OUN-B kamen zu diesem Banderistenkonklave und bildeten auch – an der Seite des künftigen Ministerpräsidenten Arsenij Jazenjuk und Witali Klitschkos, der im Mai 2014 Bürgermeister von Kiew wurde – die Spitze des »Holodomor«-Gedenkmarschs. Im Dezember gründeten ein Politiker der Swoboda-Partei und zwei OUN-B-Mitglieder, darunter Stefan Romaniw, Banderisten-Führer aus Australien und langjähriger Vorsitzender des Ukrainischen Weltkongresses, ein Koordinationszentrum für den »Euromaidan«, um die ukrainische Diaspora vor allem in nordamerikanischen Metropolen wie New York, Chicago und Toronto zu mobilisieren. Anfang 2014 unternahm mit Oleg Medunizja – mittlerweile ist er Vorsitzender der OUN-B international – ein weiterer stellvertretender Kommandeur der »Maidan-Selbstverteidigung« eine Reise zwecks Spendenakquise durch Nordamerika.

Drohung an Selenskij

Nach dem Machtwechsel übernahmen die Banderisten das Ukrainische Institut für Nationale Erinnerung in Kiew, ebenso das Bildungs- und Gesundheitsministerium. Der von den Banderisten durchsetzte »Zivile Sektor des Maidan« schuf das vom Westen finanzierte »Reanimationspaket der Reformen«, mit dem die Banderisierung der staatsoffiziellen ukrainischen Gedächtnispolitik vorangetrieben wurde. Bei den Wahlen 2014 wurden die OUN-B-Führer Oleg Medunizja und Andrij Lewus, die auf der Liste der nationalistischen »Volksfront« von Arsenij Jazenjuk kandidierten, in die Werchowna Rada gewählt. Fünf Jahre nach dem Putsch drohte die OUN-B mit einer weiteren »Revolution«. Diesmal gegen den neugewählten Präsidenten Wolodimir Selenskij – für den Fall, dass er sein Versprechen halten und den im Osten tobenden Bürgerkrieg mit einer Verhandlungslösung beenden würde. Die »Kapitulationswiderstandsbewegung« wurde von Andrij Lewus angeführt. Um den Friedensprozess im Bündnis mit anderen Faschisten zu blockieren, nutzten sie die Adresse des OUN-B-Hauptquartiers und agierten Hand in Hand mit einem weiteren von Parubijs Assistenten, der zuvor als internationaler Sekretär der »Maidan-Selbstverteidigung« fungiert hatte. Als russische Truppen 2022 in die Ukraine einmarschierten, rechneten es sich die Banderisten als Verdienst an, die Regierung in Moskau provoziert zu haben, und erklärten: »Unser Sieg ist der Sieg unserer Ideen.«

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