Komplizenschaft verlangt
Von Reinhard Lauterbach
Dass der Kanzler einen Staatsbesuch in Norwegen einschließlich Empfang beim dortigen König für einen Blitztrip nach Belgien absagt, zeigt, wie dramatisch man in Berlin den Streit um die Nutzung des beim belgischen Finanzdienstleister Euroclear eingefrorenen Vermögens der russischen Zentralbank einschätzt. Und die Befürchtungen sind berechtigt.
Erstens: Es ist das eingetreten, was US-Außenminister Marco Rubio dieser Tage als Argument für einen baldigen Friedensschluss ausgeplaudert hatte: Ewig werde die EU – und die soll das ja nach dem Willen der USA bezahlen – sich die Unterstützung der Ukraine nicht mehr im bisherigen Ausmaß leisten können. Die EU will aber genau das, auch um aus dem Schatten der Trump-Administration herauszukommen. Obwohl nie die Frage gestellt wird, warum man einem offenkundig bis in die Spitze korrupten Land mit weiteren Milliarden unter die Arme greifen sollte. Deshalb argumentieren die Befürworter des Griffs in die russische Kasse nicht nur mit den ökonomischen Nöten der Ukraine – diese Woche berichtete z. B. das polnische Magazin Polityka, dass dem Land ab Januar sogar das Geld für den Sold seiner Militärs fehlen werde; sie machen auch das ganz große Fass auf. Merz beschwor die »Einheit Europas«, die nicht gefährdet werden dürfe. Das scheint sie also zu sein, wenn nicht alle mitmachen bei einer Sache, die nach den Gesetzen des Eigentums Diebstahl in besonders großem Ausmaß wäre. Das Argument ist aus dem Arsenal der Mafia geläufig: Wer nicht mitmacht bei einem Verbrechen, gehört nicht dazu. Hier wird Komplizenschaft verlangt, als Preis der Zugehörigkeit.
Zweitens: 90 Milliarden Euro jährlich – es gibt auch Schätzungen von 120 Milliarden – zahlt nicht einmal Berlin aus der Portokasse. Daher der »smarte« oder »kreative« Versuch der EU-Kommission, das eingefrorene russische Vermögen der Ukraine sozusagen als Vorschuss auf künftige russische Kriegsentschädigungen zu überlassen. Eine ziemlich gewagte Rechnung, denn Kriegsentschädigungen zahlt derjenige, der einen Krieg verliert. Die EU kreditiert hier also im Grunde ihre eigene Hoffnung, dass Russland irgendwann doch noch einknicken werde. Eine ausgesprochen kühne Hoffnung, und der belgische Regierungschef Bart De Wever hat genau hierauf hingewiesen: Nach einer russischen Niederlage sehe es bei weitem nicht aus.
Theoretisch gäbe es natürlich noch die Option, dass die EU auf eigene Rechnung neue Schulden aufnimmt, um das Geld nach Kiew zu leiten. Aber das wäre eine weitere »Föderalisierung Europas« und daher politisch kaum durchsetzbar, am allerwenigsten auf einem Kontinent, in dem so gut wie überall EU-kritische Parteien im Aufwind sind, die kritisieren, dass sich »Brüssel« sowieso viel zu viel herausnehme. Dann schon lieber tricksen. Hauptsache, der Wechsel platzt erst in der nächsten Legislaturperiode.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
Ramil Sitdikov/REUTERS25.10.2025Das Geld des Feindes
Ludovic Marin/POOL AFP/AP/dpa22.10.2025Die letzte Kugel
KURT DESPLENTER/Belga/REUTERS08.11.2022Nicht überstrapazieren
Mehr aus: Ansichten
-
Hände weg von Venezuela!
vom 06.12.2025 -
Dachverband der Fanhilfen: Proteste zur Innenministerkonferenz haben gewirkt
vom 06.12.2025 -
Rübe des Tages: Robert Habeck
vom 06.12.2025