Das Geld des Feindes
Von Klaus FischerDie Einheit der EU-Staaten bröckelt. Nach langen Verhandlungen über die »Verwendung« eingefrorener russischer Vermögen für die Ukraine hätten sich die politischen Führer des Staatenbundes lediglich auf einen Minimalkompromiss geeinigt. Das berichteten westliche Nachrichtenagenturen am Freitag über den Stand der Diskussionen, wie die bei EU-Instituten »geparkten« Valutamilliarden russischer Eigentümer noch intensiver als bislang »genutzt« werden könnten.
Bereits jetzt stellt der von EU und NATO auserkorene Hauptgehilfe, das belgische Finanzinstitut Euroclear, Zinserträge in Milliardenhöhe aus russischen Anlagevermögen der Ukraine zur Verfügung. Hauptsächlich Russlands Staatsbank hatte dort nach übereinstimmenden westeuropäischen Berichten rund 200 Milliarden Euro deponiert. Diese waren nach Beginn der russischen Militäroperation 2022 auf Druck der EU-Kommission umgehend von den Behörden »eingefroren« worden. Der Eigentümer hatte damit die Verfügungsgewalt über sein Geld verloren.
Die Zweckentfremdung anderer Staaten Zinseinkünfte zur Finanzierung des Krieges gegen den Eigentümer reicht der EU nicht mehr. Grund: Die Ukraine ist bankrott. Kiew kann den von den meisten EU-Staaten und vor allem Großbritannien angeheizten Waffengang gegen den größeren Nachbarn nicht finanzieren. Der Internationale Währungsfonds (IWF) schätzt den Finanzbedarf für das Funktionieren des ukrainischen Staates 2026 und 2027 auf umgerechnet 52 Milliarden Euro – das notwendige Geld für Waffen und Munition nicht inbegriffen.
Wen wundert es, wenn beim EU-Gipfel dieser Woche Stargast Wolodimir Selenskij laut dpa forderte: »Wir brauchen es (das Geld) im Jahr 2026 und es wäre besser, es gleich zu Beginn des Jahres zu haben.« Am späten Donnerstag beauftragten die Staats- und Regierungschefs die EU-Kommission lediglich, Optionen für die finanzielle Unterstützung der Ukraine zu prüfen. Bundeskanzler Friedrich Merz – der den Staat repräsentiert, der inzwischen zum größten Finanzier der Ukraine geworden ist – sprach von einer »guten, zielführenden Diskussion«.
Ungeachtet solcher Äußerungen gibt es in der EU Widerstände, hinter denen sich echte Probleme verbergen. So lehnt Ungarn die Erklärung ab, hat auf ein Veto allerdings verzichtet. Auch Belgiens Regierungschef Bart de Wever windet sich weiterhin – wohl wissend, dass Euroclears Ruf bei ausländischen Anlegern inzwischen ruiniert ist. Und de Wever fürchtet zu Recht, dass sein Land finanzielle Risiken durch Gegenmaßnahmen alleine tragen müsste.
Um an die vermeintliche Beute heranzukommen – und um die offensichtliche Zweckentfremdung dieser Gelder nach außen rechtlich zu begründen – hat man in der EU-Zentrale ein fragiles Konstrukt aus Finanzarithmetik, Ordnungsmäßigkeit und schwachen Propagandasprüchen zusammengestellt. Geplant ist, bei Euroclear eingefrorene und inzwischen bar vorhandene 140 Milliarden Euro als Garantie für einen zinslosen Kredit an Kiew zu verwenden.
Hier liegt auch das Problem, weshalb die Aktion schiefgehen könnte. Denn die Kommission geht davon aus, dass Russland erst dann wieder auf das Geld zugreifen darf, wenn es Reparationen an Kiew zahlt. Diese Ansicht entspricht nicht annähernd dem tatsächlichen Kräfteverhältnis. Deshalb drängt vor allem der belgische Premier, dass alle Mitgliedstaaten haften, falls »unerwartet« der Ukraine-Kredit von den Initiatoren abgelöst werden muss. Alle müssten haften. Das könnte schwierig werden – und bedarf noch mehr Druck aus Brüssel auf Staaten wie Ungarn und die Slowakei, den Coup mitzutragen.
Zur Zeit hat die EU noch ein wenig Luft, um zu reagieren. Denn US-Präsident Donald Trump hat zuletzt wieder einen Kurswechsel hingelegt – und mit dem EU-Gefolge gemeinsam neue Sanktionen gegen Russland verhängt. Das ermutigt Brüssel und Berlin – lässt aber auch die Angst nicht verschwinden, falls aus Washington die nächste Wende kommt. Und Russland werde in jedem Falle reagieren, erklärte dessen Präsident Wladimir Putin am Donnerstag.
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