Dann eben Panzer kaufen
Von Jörg Tiedjen, Kassel
Die Situation sei schlimmer, »als ihr denkt«: Mit diesem Befund begann der Berliner Friedensforscher Lühr Henken seinen Vortrag über die Rüstungspläne der Bundesregierung auf dem »Friedensratschlag« in Kassel, der am Wochenende zusammenkam. Durchaus beunruhigt verfolgten die Zuhörer, wie Henken vorrechnete, dass in der kommenden Dekade per Kredit beschaffte Billionenbeträge in Waffen und Kriegsvorbereitung versenkt werden sollen. Bezahlen sollen am Ende die Werktätigen – und diese wehrten sich nicht. Dabei könne man auch in konservativen Medien wie der Neuen Zürcher Zeitung immer wieder lesen, dass die NATO schon jetzt Russland militärisch überlegen ist. Ein russischer Angriff auf das Kriegsbündnis wäre »Selbstmord«. »Russland wird analog zum Kalten Krieg in eine ruinöse Rüstungsspirale gezwungen«, erläuterte Henken die Aufrüstungs-»Logik«.
Hintergründe und Folgen der deutschen Kriegswirtschaft hatte Ingar Solty in seinem Einleitungsreferat zu dem größten Vernetzungstreffen der deutschen Friedensbewegung am Sonnabend beschrieben: »Destabilisierung, Deindustrialisierung, Verarmung«. Dabei kommt der zweite auserkorene Hauptgegner des »Westens« ins Spiel: China. Der Westen habe die Systemkonkurrenz mit der Volksrepublik schon verloren, stellte der Politologe fest. Deutlich erkennbar sei das daran, dass der ökologische Umbau aufgegeben werde. Die Alternative sei lange Zeit gewesen, »China nachzuahmen oder sich abzuschotten«. Der zuletzt genannte Weg werde jetzt beschritten nach dem Motto: »Wenn wir China nicht seine Märkte rauben können, dann schützen wir wenigstens den eigenen.« Für Deutschland gelte: »Wenn die Chinesen keine deutschen Autos mehr kaufen, dann sollen die Deutschen Panzer gegen China kaufen.« Den USA, war aus vielen Referaten herauszuhören, komme die gegenwärtige Entwicklung genau recht. Denn durch die Fortführung des nach Ansicht des früheren Diplomaten Michael von der Schulenburg bereits verlorenen Ukraine-Kriegs würden beide Seiten geschwächt: Russland und die EU.
Wie aber lässt sich dieser Alptraum beenden und die Gefahr eines Atomkriegs bannen, die durch die geplante Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland gesteigert wird? Die Unterschriftensammlung »Berliner Appell« wird nicht reichen. Die Podiumsdiskussion am Sonnabend abend lenkte die Aufmerksamkeit auf die bevorstehende Wiedereinführung des Wehrdiensts. »Wenn wir diesen verhindern, verhindern wir einen großen Teil der Kriegsvorbereitung«, sagte Andrea Hornung, Vorsitzende der SDAJ. Für den 5. Dezember ist ein bundesweiter Aktionstag geplant. Schüler wollen streiken, an zentralen Orten sollen Demonstrationen stattfinden. Das waren noch nicht alle Themen, die auf dem »Friedensratschlag« besprochen wurden, der am Sonntag nachmittag mit Gelächter angesichts der angekündigten Verleihung des »Westfälischen Friedenspreises« an die NATO zu Ende ging. Aus Jerusalem war die Politikwissenschaftlerin Helga Baumgarten zugeschaltet, die über den Genozid in Gaza sprach, auch Umbrüche und Krisen in Afrika wurden beleuchtet. Wird der Impuls, der von der gut besuchten Veranstaltung ausgeht, eine Wirkung entfalten?
Siehe auch
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besondere Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
-
Leserbrief von Gerd-Rolf Rosenberger aus Bremen (10. November 2025 um 15:59 Uhr)Wir freuen uns, dass wir in Bremen-Nord einen kleinen Teil zu beitragen, auch 624 Unterschriften für den Berliner Appell bisher gesammelt zu haben. Das wird alles nicht reichen, nicht einmal ansatzweise auch für die gesamte BRD, neue US-Mittelstreckenraketen zu verhindern. Auffallend ist, dass Menschen bei uns viel Mitgefühl, Solidarität für das Leid der palästinensischen Bevölkerung haben, für die verhungerten Kinder, den total ausgemergelten Menschen. Kein Verständnis bringen junge Menschen auf, wenn wie im Ukraine-Krieg so oft wichtige Energieinfrastruktur in der Ukraine schwer beschädigt oder zerstört wird. Umgekehrt durch die Ukraine russische Ölanlagen massiv angegriffen werden. Was für eine schäbige Kriegsführung, ist das Internationalismus? Beim Sammeln von Unterschriften dienstags werden Menschen aus St. Magnus, Vegesack und Lesum uns erzählen, wie sich ein Stromausfall am Wochenende über viele Stunden durch Kurzschluss auswirkt. In diesen bleiernen Zeiten der Kriege denke ich oft an Politiker wie Leonid Breschnew, aber auch an die Enkelin von Nikita Chruschtschow, ukrainische Generalsekretäre der SU, Kommunisten, die sich »im Grabe umdrehen würden«, wenn sie wüssten, was in diesem Krieg alles zerstört wird, besonders zigtausende traumatisierte Soldaten auf beiden Seiten. Karl Liebknecht charakterisierte die Novemberrevolution 1918 auch als große Friedensbewegung; Leonid Breschnew ist mit seinen Friedensvorschlägen und Handeln immer ein Mann des Friedens geblieben. Als Offizier der Roten Armee sammelte er im Kampf gegen die nazifaschistischen deutschen Okkupanten schmerzlichste Erfahrungen. Sein Kampf um und für einen weltweiten Völkerfrieden blieb für Breschnew die wichtigste Aufgabe der Sowjetunion. Im Sinne Lenins und seines Friedensdekretes!
- Antworten
Ähnliche:
Stefan Boness/IPON01.10.2025»Diese Lüge von der Bedrohung verfängt leider«
jW28.06.2025Chinesische Panzer in Berlin
imago images/Lichtgut22.02.2021Keine Änderung in Sicht
Mehr aus: Inland
-
Warum sind Sie mit dem Gesetz nicht zufrieden?
vom 10.11.2025 -
Warum können Sie das nicht der Verwaltung überlassen?
vom 10.11.2025 -
Im Sturzflug
vom 10.11.2025 -
Der gesteuerte Patient
vom 10.11.2025 -
Ministerin Reiche landet CO₂-Coup
vom 10.11.2025