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Aus: Ausgabe vom 10.11.2025, Seite 2 / Inland
Baumentscheid in Berlin

Warum können Sie das nicht der Verwaltung überlassen?

Berlin: »Bäume-plus-Gesetz« beschlossen. Initiative wird Umsetzung weiter begleiten, verspricht Julia Pohl
Interview: Marc Bebenroth
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Da geht noch was: Bäume in einem Park in Berlin-Tempelhof (30.10.2025)

Die jahrelange Arbeit der Initiative für einen Berliner Baumentscheid hat Früchte getragen. Am 3. November beschloss das Abgeordnetenhaus das sogenannte Bäume-plus-Gesetz. Warum können Sie den Rest jetzt nicht dem Senat und den Bezirken überlassen?

Dass das Gesetz nun ohne Volksentscheid einstimmig angenommen wurde, ist ein wahnsinniger Erfolg. Am Ende waren wir nur Ehrenamtliche plus zwei Hauptamtliche sowie die Bürgerinnen und Bürger von Berlin, die für diesen Erfolg einer direktdemokratischen Initiative gesorgt haben. Aber: Mit einem bloßen Gesetz allein ist noch kein einziger Baum gepflanzt. Wir haben sehr strenge Jahresziele bis 2040. Die Umsetzung muss konkret projektiert werden, so steht es im Gesetz. Aber wir haben eingeplant, dass die Umsetzung möglicherweise nicht so erfolgt, wie wir es uns gedacht haben. So gibt es zum Beispiel auch den Kontrollrat, der darauf achtet.

Zugleich braucht es den politischen Druck, der auch dazu geführt hat, dass das Gesetz überhaupt verabschiedet worden ist – ein Jahr bevor der Volksentscheid hätte stattfinden sollen. In Sachen Baumscheibenbepflanzung sind die Bürgerinnen und Bürger bald ebenfalls per Gesetz ermächtigt, sich in allen Bezirken zu beteiligen. Wo die Verwaltung der Pflicht, neue Bäume zu pflanzen, nicht nachkommen sollte, können letztlich die Anwohner jemanden damit beauftragen.

Welche Rolle spielt Ihre Initiative künftig?

Wir beobachten nicht nur die Umsetzung durch die Verwaltung, sondern beraten auch Bürgerinnen und Bürger. Außerdem müssen wir den Druck in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aufrechterhalten, da künftige Politiker am Gesetz herumschrauben und Dinge wieder rausnehmen könnten. Unsere informative Arbeit und was im Gesetz wirklich steht, wird aber leider oft missverstanden.

Inwiefern?

Oft wird behauptet, wir hätten die Pflege der Bäume vernachlässigt. Tatsächlich ist die der essentielle Teil unseres Vorhabens. Das steht im Gesetz explizit so geschrieben: Es geht immer darum, gesunde Straßenbäume zu haben. Uns geht es am Ende um die Klimaanpassung. Die ist übrigens besser durch den Altbaumbestand erreicht als durch Jungbäume.

Ist auch beschlossene Sache, dass deutlich weniger Bäume abgeholzt werden?

Wir haben die Baumschutzverordnung geändert und die Grenzwerte deutlich gesenkt, ab denen Bäume – gemessen nach Stammdicke – besser geschützt sind. Bislang galt der Baumschutz bei mehr als 80 Zentimetern. Wir haben die erforderliche Dicke auf 70 Zentimeter und die Messhöhe um 30 Zentimeter reduziert.

Was passiert mit erkrankten Bäumen?

Viele können wieder gesundgepflegt werden. Die sollen stehenbleiben. Erst, wenn ein Baum wirklich nicht mehr verkehrssicher ist, muss er abgeholzt werden.

Entscheidend wird die langfristige Versorgung der Bäume sein. Muss die Bevölkerung im Zweifel auf eigene Wasserrechnung einspringen?

Wenn Bürgerinnen und Bürger das Wasser aus dem dritten oder noch höheren Stockwerk zu ihrem Baum runterbringen müssen, geht das nicht. So ein Baum braucht im Schnitt 120 Liter pro Woche. Deshalb geht es vorrangig um Regenwassermanagement, damit der Baum bereits auf natürliche Weise versorgt werden kann. Das beinhaltet dann die Vergrößerung von Baumscheiben, Möglichkeiten zur Versickerung und ähnliches.

Wie sind die Ämter derzeit aufgestellt?

Die meisten Grünflächenämter sind chronisch unterbesetzt. Es wird immer schwieriger, Personal zu finden. Aber das braucht es jetzt vor allem dort. Das Personal muss ausgebildet werden, wenn das Gesetz so umgesetzt werden soll. Die Baumpflege wurde im ersten Entwurf der Haushaltsplanung fast komplett gestrichen, mittlerweile in Teilen auch wieder aufgenommen. Das Budget ist notwendig, sonst wäre dieses Gesetz ein ziemlich zahnloser Tiger.

Woher sollen die bis 2040 geplanten eine Million Bäume kommen?

Dafür haben wir mit CDU und SPD im Gesetz den Begriff des Entwicklungsraums verankert. Konzepte wie »Tiny Forests« setzen für klimatisch angepasste Bäume auf eine Konkurrenzsituation. Wurzeltriebe können ebenfalls genutzt werden. Wir müssen die Baumschulen in der Region entlasten, weil sie die erforderliche Menge in den nächsten Jahren nicht produzieren können.

Julia Pohl ist Geschäftsführerin des Baumentscheid e. V.

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