Im Sturzflug
Von Kristian Stemmler
Im großen Konzert der »Kriegstüchtigkeit« ist von politischer und militärischer Seite immer wieder gefordert worden, dass die Bundeswehr beschleunigt mit Kampfdrohnen aufgerüstet wird. Denn diese seien, wie der Krieg in der Ukraine zeige, eine Schlüsseltechnologie moderner Kriegführung. Der beklagte Rückstand soll jetzt möglichst schnell aufgeholt werden: Einem Bericht des Rechercheportals Correctiv vom Sonnabend zufolge erwägt die Bundeswehr die Beschaffung sogenannter Kamikazedrohnen des israelischen Rüstungskonzerns Elbit Systems. Kritiker werfen dem Konzern vor, als einer der Hauptlieferanten der israelischen Streitkräfte am genozidalen Krieg in Gaza beteiligt zu sein.
Als »Kamikazedrohnen« oder auch Loitering Munition Systems (LMS) werden Drohnen mit Sprengkopf bezeichnet, die weitgehend autonom über dem Einsatzgebiet kreisen und nach Zielen – etwa Fahrzeuge oder Soldatenansammlungen – Ausschau halten, auf die sie sich dann stürzen und beim Aufschlag wie eine Artilleriegranate oder ein Raketengeschoss explodieren. Für die Lieferung solcher Systeme waren bisher die deutschen Hersteller Rheinmetall, Stark und Helsing in der engeren Auswahl. Correctiv zufolge wurde kürzlich mit Elbit Systems ein möglicher vierter Lieferant ins Spiel gebracht. Aus internen Unterlagen des Bundesverteidigungsministeriums, die dem Portal vorliegen, gehe hervor, dass der Konzern Drohnen im Wert von 700 Millionen Euro liefern solle. Das israelische Rüstungsunternehmen gilt als einer der »Marktführer« für Drohnen und integrierte Waffensysteme.
Der mögliche 700-Millionen-Euro-Auftrag an Elbit findet sich in einer Aufstellung neuer Vorhaben der Bundeswehr, heißt es weiter. Die rund 320 Posten auf dieser Liste, über die kürzlich zuerst das Portal Politico berichtete, belaufen sich auf insgesamt 377 Milliarden Euro und erstrecken sich über die kommenden Jahre. Nach Maßgabe von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) vom Frühjahr 2025 soll die Bundeswehr konventionell zur »stärksten Armee Europas« werden. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Carsten Breuer, hatte Drohnen bei der Vorstellung der Beschaffungspläne im April als »Gamechanger« bezeichnet und erklärt, diese Technologie habe höchste Priorität.
Vor diesem Hintergrund wollte die Bundeswehr insbesondere die sogenannten Kamikazedrohnen so schnell wie möglich beschaffen. Dafür laufen bereits seit April Tests und Vorverfahren für LMS der Hersteller Stark und Helsing, aber offenbar mit Problemen. Laut dem Magazin Spiegel sind die beiden Startups hinsichtlich der Lieferung »wesentlicher vertraglicher Liefergegenstände/Komponenten« im Verzug. Auch von »Leistungsproblemen« ist bei der Stark-Drohne die Rede. Das Rheinmetall-Modell wiederum befinde sich erst in einem prototypähnlichen Stadium.
Über diese Probleme hatte Bild bereits am 31. Oktober berichtet. Dem Bericht zufolge haben Stark, Helsing und Rheinmetall jeweils Aufträge für Drohnen im Wert von 300 Millionen Euro erhalten, obwohl Tests der Drohnen nur bei einem der Anbieter erfolgreich verliefen. Demnach hat im Oktober im niedersächsischen Munster ein geheimer Drohnentest stattgefunden. Die Unternehmen Helsing und Stark führten ihre Systeme in einem Praxistest mit 19 Testflügen vor, 17 mit Drohnen von Helsing, zwei von Stark. Die Drohnen sollten bei den Tests ohne Sprengkopf in ein Zielobjekt fliegen. Während alle Helsing-Flüge erfolgreich verliefen, soll die Drohne von Stark ihr Ziel zweimal verfehlt haben. Rheinmetall sei zu dem Test gar nicht erst aufgetaucht, so Bild. Alle drei Anbieter hätten dennoch kurz nach den Tests die Zusage des Ministeriums erhalten.
Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums bestritt gegenüber Correctiv, dass bereits eine Entscheidung für eine »großvolumige Beschaffung« konkreter Hersteller erfolgt sei. Verträge für den Kauf von begrenzten Mengen von LMS seien bislang »ausschließlich für Zwecke einer Zertifizierung/Qualifizierung« mit mittlerweile drei Herstellern abgeschlossen worden, hieß es weiter. Alle Hersteller würden dasselbe Verfahren durchlaufen, das bis Ende des Jahres durchgeführt werden solle, so die Sprecherin. Erst dann werde eine Entscheidung über eine Beschaffung der Drohnen fallen.
Die Niederlassung von Elbit Systems in Ulm war zuletzt mehrmals das Ziel von Protestaktionen. So blockierten am 8. August etwa 30 Menschen die Einfahrt des Unternehmens und forderten die Schließung aller deutschen Elbit-Niederlassungen. Die Firma spiele eine »grundlegende Rolle beim andauernden Völkermord« in Gaza, hieß es in einer Erklärung. 85 Prozent der Drohnen der israelischen Armee stammten von Elbit. Das Unternehmen stellt aber auch Munition, Kommunikations- und Überwachungssysteme her. Technologien von Elbit seien in den »Merkava«-Panzern installiert, die durch Gaza rollen. Zu den »Bomben, Geschossen und Granaten, die Gaza in Schutt und Asche legen«, zähle auch Munition von Elbit.
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