»Wir haben vom Volk von Vietnam gelernt«
Interview: Thorben Austen
Die Führerin der rechten Opposition in Venezuela, María Corina Machado, bekommt den »Friedensnobelpreis«. In deutschen Mainstreammedien wurde dies durchweg mit Zufriedenheit aufgenommen. Wie wird das in Venezuela gesehen?
Der Preis ist ein Instrument des Kalten Krieges, er ist ein Preis des Krieges, nicht des Friedens, und eine Beleidigung für alle freien Völker der Welt. Machado war 2002 beteiligt am Putsch gegen Hugo Chávez, sie forderte 2014 als gewählte Abgeordnete des Parlaments eine Intervention der USA. 2020 traf sie sich mit der israelischen Likud-Partei und mit Benjamin Netanjahu persönlich, um ebenfalls eine militärische Intervention zu erreichen. Sie ist als Organisatorin der sogenannten Guarimba-Proteste, gewalttätiger Ausschreitungen, verantwortlich für über 100 tote Anhänger der Regierung, die teilweise auf offener Straße angezündet wurden.
US-Präsident Donald Trump denkt laut über eine direkte militärische Intervention nach, die US-Marine hat in den vergangenen Wochen fünf angebliche Drogenboote vor der venezolanischen Küste versenkt. Wie bereiten sich Volk und Regierung auf einen möglichen Angriff vor?
Wir sind den Drohungen der USA seit 26 Jahren ausgesetzt, seit mit Comandante Chávez der Prozess der Souveränität unseres Landes begann. Die USA handeln nach der Monroe-Doktrin, die ihren »Hinterhof« definiert, sie betreiben eine Politik des recycelten Kolonialismus. Es geht um die Kontrolle über die Ressourcen Venezuelas, ums Öl, Gas, Gold und Wasser. Zur aktuellen Situation: Wir sind vorbereitet, das Volk ist organisiert, wir haben aus den Erfahrungen des Widerstandes des Volkes von Vietnam gelernt. Wir verstärken unsere Süd-Süd-Kooperation, die Zusammenarbeit mit China, Russland, dem Iran, der Türkei und Palästina.
Wie ist die ökonomische Situation, und welche Rolle spielen die Sanktionen? Millionen Menschen haben in den vergangenen Jahren Venezuela aufgrund der wirtschaftlichen Lage verlassen.
Es gibt aktuell 1.042 einseitige Zwangsmaßnahmen gegen Venezuela. Damit liegen wir bei den von seiten der USA und der EU verhängten Zwangsmaßnahmen weltweit auf Platz drei. Die Sanktionen traten 2014 unter Barack Obama in Kraft. Die Auswirkungen waren verheerend, vor allem im medizinischen Bereich. Vorher waren wir unter Chávez zum Land mit der besten Gesundheitsversorgung in der Region geworden. Wirtschaftlich waren vor allem die Jahre 2014 bis 2017 sehr hart, in diesen Jahren verschärften sich auch die gewalttätigen Proteste der Opposition. Seitdem sind wir in einem langsamen Prozess der Erholung. 2013 wurden nahezu 100 Prozent unserer Lebensmittel importiert, heute produzieren wir fast 98 Prozent selbst. Die Regierung dokumentiert im Internet seit zehn Jahren täglich die Auswirkungen der Blockade.
Kritik an der Maduro-Regierung kommt seit einiger Zeit nicht nur von rechts. Auch linke Organisationen wie die – seit 2023 nach einer Intervention des Obersten Gerichts auf der Führungsebene gespaltene – Kommunistische Partei Venezuelas und die Strömung Comunes bezeichnen die Regierung als autoritär und neoliberal und sprechen von Betrug bei den letzten Wahlen.
Diese Kritik kommt meiner Meinung nach von Leuten, die sich mit der politischen Rechten verbündet haben. Natürlich macht die Regierung Fehler, aber Präsident Nicolás Maduro räumt Fehler auch öffentlich ein, sucht den Diskurs mit breiten Bevölkerungsschichten. Ich kann nur jeden einladen, nach Venezuela zu kommen, direkt mit der Bevölkerung zu sprechen und sich ein eigenes Bild zu machen. Wir haben eine breite, diverse und partizipative Demokratie auf Basis der Kommunen.
Von den Kommunen ist immer wieder die Rede. Was tun sie, und wie sind sie organisiert?
Sie sind kommunale Räte, die vor Ort arbeiten und sich um Themen wie Energieversorgung, Gesundheit, Jugendprobleme etc. kümmern. Die Versammlungen der Kommunen stellen eine kommunale Regierung dar, stimmberechtigt ist jeder Bürger ab 15 Jahren. Neue Kommunen müssen sich den kommunalen Räten vorstellen. Die Räte stehen in den einzelnen Bereichen, zum Beispiel der Gesundheitsversorgung, im direkten Kontakt mit dem zuständigen Minister und auch mit Maduro. Ziel ist der Aufbau einer Gegenmacht zum kolonialen Staat mit seinen Strukturen.
Asdrúbal Jesús Alamilla González ist Sozialwissenschaftler und Universitätsprofessor im venezolanischen Bundestaat Carabobo
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