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Aus: Ausgabe vom 10.12.2025, Seite 14 / Feuilleton

Rotlicht: Hallstein-Doktrin

Von Jörg Kronauer
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Betet er oder heckt er die neue Außenpolitik aus? Adenauer bei seinem Moskau-Besuch in einer Kirche (11.9.1955)

Sie ist zum plastischen Beispiel dafür geworden, wohin es führen kann, wenn man andere Länder auf Biegen und Brechen von einem Ausbau ihrer Beziehungen zu einem dritten Staat abhalten will: die Hallstein-Doktrin. Die noch junge Bundesrepublik versuchte mit ihr, die Deutsche Demokratische Republik zu isolieren. Es gelang ihr nicht wirklich. Zudem stellte sie sich damit außenpolitisch immer wieder selbst ein Bein.

Der Anlass zur Entwicklung der Hallstein-Doktrin ergab sich für die Bundesregierung, als Kanzler Konrad Adenauer vom 9. bis zum 14. September 1955 nach Moskau reiste und dort die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion vereinbarte (vgl. junge Welt vom 6.9.2025). Bis dahin galt es in Bonn als ausgemacht, dass die Bundesrepublik die Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches war und damit der einzige legitime deutsche Staat. Und die DDR? Pfui Teufel! Schon den Namen nahm man in Westdeutschland nicht in den Mund; und wenn man wirklich nicht umhin kam, darüber zu reden, dass da irgendwas östlich der Elbe war, dann sprach man von der »Ostzone«, besser noch vom »Pankow-Regime«. Das Gebilde anerkennen? Auf gar keinen Fall. Als nun jedoch Adenauer die Einrichtung einer bundesdeutschen Botschaft in Moskau regelte, da konnte noch der beste Realitätsverleugner nicht abstreiten, dass die – horribile dictu! – DDR das gleichfalls tat. Es standen bald also die Botschaften zweier Staaten mit dem Etikett »deutsch« in der sowjetischen Hauptstadt. Die BRD war demnach nicht der einzige deutsche Staat.

Für Bonn war klar: Dass ein Land diplomatische Beziehungen sowohl zur BRD als auch zur DDR aufnahm, das musste eine absolute Ausnahme bleiben. Also entwickelte auf dem Rückflug aus Moskau Wilhelm Grewe, der als Leiter der Politischen Abteilung im Auswärtigen Amt den Kanzler begleitet hatte, eine Doktrin, die letztlich nach seinem Chef benannt wurde, dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt Walter Hallstein. Beide, nebenbei, waren altgediente Nazijuristen. Die neue Doktrin besagte, die BRD betrachte es, wenn ein Staat diplomatische Beziehungen zur DDR aufnehme, als »unfreundlichen Akt« und behalte sich für diesen Fall politische Reaktionen vor. Als etwa Jugoslawien 1957 offizielle Beziehungen zur DDR aufnahm, brach die BRD die Beziehungen nach Belgrad ab. 1963 traf es aus gleichem Grund Kuba.

Nun blieb die Wirksamkeit solcher Maßnahmen beschränkt. Als beispielsweise die DDR 1959 mit Ghana unter Präsident Kwame Nkrumah kooperieren wollte, übte die BRD Druck auf das Land aus: Nehme Accra Beziehungen zu Ostberlin auf, dann breche Bonn seine Beziehungen zu Accra ab. Um sich größeren Ärger mit der BRD zu sparen, kooperierten Ghana und die DDR bloß auf der Ebene von Handelsvertretungen. Umgekehrt fragte so mancher recht bald: War es wirklich hilfreich, prinzipiell keine Beziehungen zu, sagen wir, Polen aufnehmen zu können, weil das Land selbstverständlich Beziehungen zum Nachbarland DDR unterhielt? Bonn schränkte sich damit selbst ein. Das betraf nicht nur die sozialistischen Staaten Ost- und Südosteuropas. Auch in Afrika und in Asien gab es Länder, die sich für die DDR entschieden und denen die BRD deshalb den Rücken zukehrte. Damit verlor sie selbst an Einfluss.

Eine Wende begann sich langsam abzuzeichnen, als in den 1960er Jahren die Neue Ostpolitik heraufzudämmern begann. Wer »Wandel durch Annäherung« betreiben wollte, der musste mit der Hallstein-Doktrin früher oder später Schluss machen. 1969 war es schließlich soweit: Kanzler Willy Brandt stellte am 20. Oktober in einer Rede fest, in Deutschland gebe es »zwei Staaten einer Nation«. Damit erkannte er de facto die DDR an: Die Realität hatte sich selbst in der Bundesrepublik durchgesetzt, die Hallstein-Doktrin war Geschichte. Dies mündete im Abschluss des Grundlagenvertrags im Jahr 1972, der die Beziehungen zwischen der BRD und der DDR in aller Form regelte.

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