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Aus: Ausgabe vom 10.12.2025, Seite 10 / Feuilleton
Antifaschismus

»Ihr wärt zu mehr gut«

Verhaltene Zuversicht: Bertolt Brechts »Kriegsfibel« als Rüstzeug für die Gegenwart
Von Kai Köhler
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Erkenntnisfördernde Widersprüche: Seite aus der »Kriegsfibel«

Bertolt Brechts »Kriegsfibel« ist so wenig neu wie die Ausgabe, um die es hier geht. Die Aktualität des Werks aber legt eine Rezension der Nachauflage im Eulenspiegel-Verlag nahe. Es handelt sich um eine großformatige Reproduktion des Erstdrucks von 1955, was das hier hilfreiche genaue Hinsehen ermöglicht. Das Werk besteht aus 69 Fotoepigrammen.

Was heißt das? Im Exil begann Brecht, der Tagespresse Bildnachrichten über den Krieg zu entnehmen. Diese Ausschnitte, auf denen sich zuweilen noch ein englischer oder schwedischer Text befindet, versah er mit Kurzgedichten zu je vier Versen, die die Aussage des Bildes vertiefen oder sie in ein neues Licht rücken. Am Beginn steht ein Foto des Redners Hitler, der – so Brecht – den »Weg, der in den Abgrund führt« ausruft. Zum Schluss ist wieder Hitler zu sehen, und darunter liest man die bekanntesten Verse der Sammlung: »Das da hätt einmal fast die Welt regiert. / Die Völker wurden seiner Herr. Jedoch / Ich wollte, dass ihr nicht schon triumphiert: / Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.«

Die Anordnung dazwischen ist weitgehend chronologisch. Die Kämpfe in Polen, Frankreich, Norwegen; die Luftschlacht über England, das Ausgreifen des Krieges nach Afrika, das Ringen zwischen Japan und den USA; dann als das Entscheidende der Verteidigungskrieg der Sowjetunion und der Sieg über den deutschen Faschismus.

Die »Kriegsfibel« ist kein pazifistisches Buch. Die Bilder zeigen zwar eindrucksvoll Leiden und Schrecken des Krieges. Die Verse aber lassen keinen Zweifel daran, dass Krieg nicht Schicksal ist, sondern Verursacher hat, die es zu bekämpfen gilt: »Die dunklen Mächte, Frau, die dich da schinden / Sie haben Name, Anschrift und Gesicht«, liest man zu der Abbildung einer Berliner Überlebenden, die nach einem Bombenangriff die Trümmer ihres früheren Wohnhauses durchsucht (Nummer 22).

Um wessen Name, Anschrift und Gesicht geht es? Die Rahmung zeigt, dass es gegen den Krieg der Nazis ging, die zu entlarven bei Erscheinen des Buchs noch lange nicht überflüssig war. Nach der Luftschlacht über England traf der Bombenkrieg Deutschland, und vom Fotoepigramm Nummer 23 an sind Porträts der führenden Nazis eingefügt, ergänzt vom Sozialdemokraten Gustav Noske, der als selbsterklärter »Bluthund« 1918/19 in Deutschland die Revolution zerschlagen und so die Voraussetzungen für den Faschismus gesichert hatte.

Brecht betrachtet den Faschismus also im Zusammenhang, als eine Form bürgerlicher Herrschaft im Kapitalismus. Entsprechend verlieren die Fronten im Krieg an Eindeutigkeit. Nummer 38 zeigt einen bulligen Winston Churchill mit Zigarre zwischen den Zähnen und Maschinenpistole im Anschlag. Brecht legt ihm in den Mund: »Ich kenne das Gesetz der Gangs. Ich fuhr / Im allgemeinen gut mit Menschenfressern. / Sie fraßen aus der Hand mir. Die Kultur / Find’t als Verteidiger hier keinen bessern.« Da ist einer, der sich von Göring nur wenig unterscheidet, nur durch Zufall auf die antifaschistische Seite geraten. Heute weiß man, dass der britische Premier angesichts der sowjetischen Macht nach 1945 bedauerte, das »falsche Schwein geschlachtet« zu haben.

Der innerimperialistische Krieg ist nicht im Interesse der Völker, entsprechend dichtet Brecht zum Krieg Japans gegen die USA: »Es hatte sich ein Strand von Blut zu röten / Der ihnen nicht gehörte, dem noch dem.« Nummer 55 hingegen zeigt Fotos eines deutschen und eines sowjetischen Soldaten und erklärt: »Ein Brüderpaar, seht, das in Panzern fuhr / Zu kämpfen um des einen Bruders Land!«

Denn die sowjetische Arbeiterschaft kämpfte um ihren Besitz. Entsprechend wird die Niederlage der deutschen Arbeiter, auf die Brecht in der Weimarer Republik gesetzt hatte, zum Thema. Er stellt die Niederlage fest und erklärt sie nicht. Die vorletzte Seite, Nummer 68, zeigt neun Fotos deutscher Landser und darunter die Verse: »Euch kennen, dacht ich, und ich denk es noch / Und ich gehör nicht zu den blinden Lobern: / Ihr wärt zu mehr gut als zum blinden Welterobern / Zur Knechtschaft am Joch oder unterm Joch.«

Das klingt nach allenfalls bedingter Zuversicht. Mehr ist auch heute nicht möglich, und als Trost mag gelten, dass Konfliktlagen früher nicht unbedingt durchschaubarer waren als heute. Brechts »Kriegsfibel« ist angesichts eines wiedererstarkenden Faschismus historisch lehrreich. Sie zeigt den Kapitalismus als dessen Hintergrund. Erkenntnisfördernd sind nicht nur die Widersprüche, die Brecht zwischen Bild und Text setzt, sondern auch die Spannungsverhältnisse, die sich aus dem bewusst komponierten Ganzen ergeben.

Die Ausgabe bringt neben dem kompletten Werk auch Fotoepigramme, die nicht in den Erstdruck eingingen – sei es, weil sich bessere Bilder fanden oder weil Brecht sie aus verschiedenen Gründen wegließ. Ebenfalls gibt es »Nachbemerkungen zu den Bildern« von Hans Seydel und Günter Kunert, die bereits in der Erstausgabe historische Zusammenhänge erklärten, sowie ein kurzes Nachwort von Jan Knopf. All dies hilft, unsere Gegenwart zu verstehen.

Bertolt Brecht: Kriegsfibel. Hrsg. von Barbara Brecht-Schall. Eulenspiegel-Verlag, Berlin 2025, 208 Seiten, 38 Euro

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