Auf der Couch eingeschlafen
Von Maximilian Schäffer
Aus der Mottenkiste von Fernsehdeutschland kommt Bernd Stromberg auf die Leinwand gekrochen. Der Vorgesetzte aus der Abteilung Schadensregulierung der fiktiven Capitol-Versicherungsgesellschaft war die TV-Kultfigur der nuller Jahre, sozusagen ganz am Ende der Wichtigkeit dieses Mediums. Die Deutschen, damals waren sie noch vor der Mattscheibe selig, wählten ihn zum Bundeskanzler und wachten zwanzig Jahre später auf der Couch mit Friedrich Merz wieder auf. Bekanntermaßen ähnliche Frisur, ähnliche Ausstrahlung von Sozialkompetenz. Stromberg, gespielt von Christoph Maria Herbst, war der überzeichnete Alptraum eines (damals schon anachronistischen) Büroalltags im 20. Jahrhundert. Eine Zeit vor Tischtennisplatten und Espressomaschinen im Arbeitsumfeld. Vor Glasfronten und Parkettböden im Teambuilding Space. In der Krankenhausatmosphäre der Capitol brandrodete der Chef noch täglich das kollegiale Miteinander mit obszönen Sprüchen und gutem Willen zur Menschlichkeit und Macht. Klar hatte die Serie »Stromberg« ihre Vorbilder bei der BBC (»The Office«), beobachtete in ihrer BRD-Version aber spezifisch deutsche Wesenszüge, verstaubte Redewendungen, Korrektheit bis zur Grausamkeit und Sozialautismus mit brillanter Akkuratesse. Genaues Beobachten von Zeit und Umfeld ist und bleibt der Schlüssel zu guter Comedy.
Der zweite Kinoableger (nach »Stromberg, der Film«, 2014) also heißt »Stromberg – Wieder alles wie immer« und durchbricht sozusagen die vierte Wand. Von jeher als Mockumentary angelegt, treffen sich die altbekannten Charaktere nun außerhalb der Versicherungsgesellschaft in einem Fernsehstudio – für eine Revivalgala im TV, zwanzig oder zehn Jahre nach den Realitäten im Arbeitsalltag, die fürs Fernsehen dokumentiert wurden. Schnell stellen sich bei dem Team die alten Dynamiken wieder ein, und das, obwohl sich so einiges nach dem Kollektivtrauma geändert hat. Berthold Heisterkamp alias »Ernie« (Bjarne Mädel), das ständige Mobbingopfer, ist nun Lifecoach und Selbsthilfebuchautor. Ulf (Oliver Wnuk) und Tanja Steinke (Diana Staehly) sind immer noch verheiratet und, inklusive queerem Sohn Marvin (Carlo Stolle), bei der Capitol versackt. Jennifer Schirrmann (Milena Dreißig), chronisch unzufrieden in Liebesangelegenheiten, hat sich einen aufgedrehten Influencer namens Julian G. (László Branko Breiding) angelacht. Und Stromberg selbst? Abgehalftert bei einer postmodernen PR-Agentur, die ihn sozusagen als abschreckendes Beispiel inszeniert.
Nun, so gehen die Gänge, wie sie bei »Stromberg« eben so gehen. Die Titelfigur reißt eine unangebrachte Zote nach der anderen und spielt dabei subtil mit ihrer Macht. Komischerweise übt er diese immer noch gekonnt aus, obwohl er beruflich ja keinerlei Rolle mehr für die anderen spielt. Ernie nervt, Ulf muss Witze über seine Größe über sich ergehen lassen, Tanja tut auf professionell und »Jenny« kümmert sich um den Flirtfaktor. Eigentlich aber will dieser Film die Konfrontation einer Generation mit der nächsten inszenieren. Das, was früher lediglich als unangenehm zotig galt, ist heute, in Zeiten der grassierenden Achtsamkeit, zum totalen Tabu geworden. Diese Beobachtung ist nicht falsch und Bernd Stromberg als Extremfall sicherlich keine falsche Figur für ein Lehrstück.
Denn irgendwann ist dieser ekelhafte Chauvinist, der täglich Leben ruiniert, auch nur ein Rädchen im Alltag. Kein Monster, nur ein Arschloch. Und die, die ihn moralisch vorführen, scheitern selbst an ihrem Anspruch der totalen Empathie. Spätestens wenn es um die eigene berufliche Potenz geht. So könnte man diese Komödie erklären und erwähnen, dass sich der woke Drops – inklusive seiner Uwe-Steimle-Antis – auch gelutscht hat. Tatsächlich aber ist dieser unerwartete Film unerwartet clever geschrieben. Niemand und gleichzeitig alle werden anhand dieses Kulturkampfs sowie ihrer individuellen Neurosen vorgeführt. Bernd Stromberg dreht logischerweise durch in dieser Welt voller Securitys. Sicherheitsdienste überall: Sie bewachen Sprache, Eigentum, Karriere. Auf wessen Geheiß eigentlich?
»Stromberg – Wieder alles wie immer«, Regie: Arne Feldhusen, BRD 2025, 100 Min., bereits angelaufen
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