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Aus: Ausgabe vom 17.11.2025, Seite 2 / Ausland
Hafenarbeiter in Genua

Wie kämpft man als Beschäftigter für Palästina?

Italien: Hafenarbeiter aus Genua blockieren Waffenlieferungen. Das stärkt Vertrauen in die Gewerkschaft, sagt José Nivoi
Interview: Ignacio Rosaslanda
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Heute werden keine Waffen geliefert (Genua, 22.9.2025)

Die ganze Welt hat die Aktionen der Hafenarbeiter von Genua verfolgt. Wie kam die palästinensische Sache auf die politische Agenda der Hafenarbeiter?

Innerhalb unserer Gewerkschaft CALP (Autonomes Kollektiv der Hafenarbeiter, jW) halten wir uns an zwei zentrale Grundsätze: Internationalismus und Antifaschismus. Damit bewegen wir uns im politischen und gewerkschaftlichen Bereich. Wir halten an der Selbstbestimmung der Völker fest. Deshalb ist es für uns selbstverständlich, das palästinensische Volk zu unterstützen.

Sie blockieren immer wieder Waffenlieferungen an Israel. Wann haben Sie damit begonnen?

Das war im Mai 2021. Wir haben einen Container voller Raketen abgefangen, die in der Gegend von Bergamo hergestellt wurden. Das war der erste konkrete Akt der Solidarität mit dem palästinensischen Volk.

Die Solidarität mit Palästina zielt nicht auf unmittelbare Verbesserung der Arbeitsbedingungen ab. Wie konnten Sie die Beschäftigten überzeugen, sich an diesem Kampf zu beteiligen?

Wir haben die Arbeiter nicht nur über die palästinensische Frage eingebunden. Wir wollten klarmachen, was es bedeutet, Waffen zu transportieren, Kriege zu versorgen und welche Auswirkungen das in der Arbeitswelt hat. Dann hat die italienische Regierung die Militärausgaben erhöht. Wenn du öffentliche Mittel dafür von Gesundheit, Bildung oder der Rente abzweigst, dann verarmt die Arbeiterklasse indirekt. Dadurch haben wir es geschafft, auch die weniger politisierten Arbeiter mitzuziehen, weil sie im Krieg ein konkretes Problem sehen: den Verlust ihrer Kaufkraft. Das Bewusstsein über Palästina wurde verstärkt durch die Videos, die mittlerweile überall zirkulieren. Damit ließ sich die Hafenwelt gut mobilisieren.

Mit welchen Taktiken gehen Sie vor?

Wir blockieren seit 2014 Schiffe und Waffenhandel und benutzen Methoden, die sehr hooliganartig, sehr straßennah sind, weil wir ursprünglich aus dieser Szene kommen. Und unsere Art von Gewerkschaftsarbeit – also raus aus den traditionellen konzertierten Gewerkschaften CGIL, CISL, UIL, bei denen man eher die Zuschauerrolle hat – mit der Unione Sindacale di Base, USB, ist kämpferisch. Das hat Vertrauen in die Gewerkschaft wiederhergestellt.

Die Worte »Wir blockieren alles«, blocchiamo tutto, gingen um die Welt, als die »Global Sumud Flotill auf dem Weg nach Gaza war. Sie waren Teil der Flottille.

Ich bin mit der Flottille in See gestochen, um zu zeigen, dass wir nicht nur Waffenlieferungen blockieren, sondern auch lebensnotwendige Güter liefern. Wo Regierungen nicht handeln, kommen wir als Organisation ins Spiel. Das ist etwas ganz anderes als der Mist im Parlament. Und der Eindruck, den das Gefängnis in Israel bei mir hinterlassen hat: Es war ein Hochsicherheitsgefängnis an der Grenze zu Gaza in der Wüste und wir hörten alle fünfzehn Minuten Kampfflugzeuge über uns hinwegfliegen, die Gaza bombardierten. Mehr als körperliche Folter erlebten wir psychische Folter wie Schlafentzug. Wenn man Wasser verlangte, richteten sie eine Schrotflinte direkt ins Gesicht. Oder sie ließen Hunde in die Zellen, immer mit der Schrotflinte im Anschlag – das war einschüchternd. Was wir erlebt haben, war aber nur ein Bruchteil dessen, was die Palästinenser durchmachen. Wir müssen alles tun, um das palästinensische Volk zu befreien.

Was können Sie den Arbeitern in Deutschland mitgeben?

Antizionismus und Antisemitismus sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Die Deutschen scheinen gebildet zu sein, aber mit Scheuklappen. Glauben, dass sie die Welt ändern können, indem sie den Chef anbetteln, dass er sie erlöse: Bitte unterdrückt mich nicht, ich möchte dieses Sozialmodell ändern. Aber das ist ein Klassenkrieg von oben nach unten, und die Bosse gewinnen ihn gerade. Ob Palästinenser, unterdrückte Klassen oder ausgebeutete Migranten: Wir müssen wieder Krieg nach oben führen. Am 28. November wird es in Italien wieder einen Generalstreik geben: Gegen den Haushaltsplan der Regierung, der noch mehr Staatsausgaben zum Militär verschiebt und damit Forschung, Renten, Schule und Gesundheit weiter ausbluten lässt.

José Nivoi ist Sprecher der italienischen Hafenarbeitergewerkschaft CALP. Das komplette Videogespräch finden Sie auf jungewelt.de

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