Aufregung in Polen um Sabotage an Gleisen
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
In Polen soll es am Wochenende zu mehreren Sabotageakten an einer wichtigen Bahnverbindung in Richtung Ukraine gekommen sein. Premierminister Donald Tusk sprach am Montag morgen davon, dass sich »die schlimmsten Befürchtungen bewahrheitet« hätten und dass die Täter zur Verantwortung gezogen würden, »egal, in wessen Auftrag sie tätig waren«.
Über den eigentlichen Hergang ist trotz einer Flut offizieller und offiziöser Mitteilungen wenig Konkretes bekannt. Am Sonntag morgen gegen 7.40 Uhr soll der Triebfahrzeugführer eines zwischen Lublin und Warschau verkehrenden Nahverkehrszuges einen »unruhigen Lauf« bemerkt und die Fahrdienstleitung davon informiert haben. Anschließend habe er den Zug gebremst und sei direkt vor einer Lücke im Schienenstrang zum Stehen gekommen.
Schon diese am Montag vom Portal gazeta.pl verbreitete Darstellung weckt Zweifel. Denn von mehreren Beschädigungen des Gleises war keine Rede, und die Bremswege von Zügen sind so lang, dass es unwahrscheinlich ist, dass der Lokführer die erste Beschädigung bemerkte, Meldung machte und es dann noch schaffte, den Zug genau vor der Lücke zum Stehen zu bringen. Eine Entgleisung wäre als Hergang um einiges plausibler gewesen.
Am Sonntag abend kam es offenbar noch zu einem weiteren Vorfall auf derselben Strecke. Gegen 18.40 Uhr sei der Schnellzug von Szczecin nach Rzeszów nahe der Stadt Puławy »plötzlich zum Stehen gekommen«. Am Montag hieß es dann, der Stromabnehmer der Lokomotive sei beschädigt worden – was zwar den plötzlichen Stopp erklären würde, aber nicht mit der offiziellen Theorie von der Sabotage an den Schienen zusammenpasst. Dass die Oberleitung sabotiert wurde, die eventuell den Stromabnehmer hätte abreißen können, wurde aber bisher von niemandem behauptet. Dass eine zerrissene Oberleitung in der Lage sein soll, die aus Sicherheitsglas gefertigten Fenster eines Waggons zum Splittern zu bringen, ist nach dem bisherigen Stand der Mitteilungen wenig plausibel. Auffällig ist im übrigen, dass die polnischen Medien bislang keine Fotos von den angeblich beschädigten Schienenstücken veröffentlicht haben und dass bei beiden Vorfällen niemand zu Schaden kam, obwohl in dem Schnellzug 475 Fahrgäste gesessen haben sollen. Die von den mutmaßlichen Anschlägen betroffene Bahnlinie führt von Lublin aus weiter in östlicher Richtung zum polnisch-ukrainischen Grenzübergang Dorohusk/Jagodin. Beide Anschlagsorte liegen aber westlich von Lublin.
Die Linie der politischen Auswertung der Vorfälle deutet jedenfalls auf gezielte rhetorische Eskalation durch die polnischen Behörden hin. Noch bevor Ermittlungsergebnisse vorliegen, war der Politik durch die Bank klar, dass es sich um einen »Akt hybrider Kriegführung« von seiten Russlands gehandelt habe. Das Portal gazeta.pl zitierte den pensionierten General Roman Polko mit der Forderung, man müsse auf solche Vorfälle reagieren, indem man Anschläge im Inneren Russlands verübe, so dass Moskau genug damit zu tun habe, sein eigenes Territorium zu sichern. Diese weitgehende Konsequenz widerspricht im übrigen der bisher herrschenden Linie zu den angeblichen »russischen Sabotageakten« der jüngeren Vergangenheit in Polen. Demnach wären diese das Werk sogenannter Einmalagenten, die aus Russland über soziale Netzwerke für ein bescheidenes Honorar angeheuert und anschließend ihrem Schicksal überlassen würden. Vorausgesetzt, dies trifft zu, wäre damit aber auch klar, dass Anschläge auf russische Infrastruktur an dieser unterstellten Vorgehensweise Russlands im Ausland nichts ändern würden, geschweige denn müssten.
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