Um die Wurst
Der Skandal um die Ausladung des Schweizer Theatermachers Milo Rau führt wahrscheinlich dazu, dass das Belgrader Theaterfestival Bitef in diesem Jahr nicht stattfinden kann. Die Einladung Raus, der auch Intendant der Wiener Festwochen ist, durch die künstlerische Leitung wurde auf Entscheidung des politisch besetzten Festivalsvorstands rückgängig gemacht. Das sei ein »Präzedenzfall«, erklärte die künstlerische Leitung um den Theaterregisseur Miloš Lolić laut einer dpa-Meldung vom Dienstag. Sie trat geschlossen zurück. Der für die Zensurentscheidung verantwortliche Vorstand löste sich auf. In Belgrad wird derzeit nicht mehr damit gerechnet, dass das Bitef in diesem Jahr noch stattfinden wird.
In Serbien regiert Präsident Aleksandar Vučić zunehmend autoritärer. Schon länger steht auch die Zukunft des Bitef auf dem Spiel, der seit fast sechs Jahrzehnten wichtigsten Schau zeitgenössischen Theaters in Südosteuropa. Der dezidiert politische Theatermacher Rau hätte in Belgrad nach dem Willen der künstlerischen Leitung seine Aufführung »Der Prozess Pelicot« präsentieren sollen. Das in diesem Jahr für die Wiener Festwochen und das Theaterfestival in Avignon produzierte Stück von ihm und Servane Dècle thematisiert auf dokumentarische Weise den Fall der Französin Gisèle Pelicot, die jahrelang von ihrem Ehemann betäubt und von Dutzenden Männern vergewaltigt worden war.
Die Einladung zum Bitef scheiterte an der Ablehnung durch den Vorstand, in dem auch eine Vertreterin des Kulturstaatssekretariats und eine regierungsnahe Journalistin saßen. Das Gremium begründete sein Veto nicht mit Vorbehalten gegenüber der »Pelicot«-Aufführung, sondern mit dem – nicht offiziell verfügten – Umstand, dass Milo Rau in Serbien eine »Persona non grata«, eine unerwünschte Person, sei.
Rau hatte als Eröffnungsredner des vorjährigen Bitef-Festivals den geplanten Lithiumabbau in einem Naturschutzgebiet im Westen Serbiens kritisiert. Für den Staatschef handelt es sich um ein Prestigeobjekt, das auch von der EU und Deutschland unterstützt wird. Wegen der Rede wurde der Vertrag des damaligen künstlerischen Festivalleiters Nikita Milivojević nicht verlängert. Rau erklärte in einer Mitteilung der Wiener Festwochen zu seiner Ausladung: »Die Entscheidung, das Stück ›Der Prozess Pelicot‹ zu zensieren, vollendet die seit Monaten andauernde Zerstörung der künstlerischen Freiheit bei einem der größten Festivals Europas.«
Wegen der Kürzungen öffentlicher Fördergelder und politischer Einmischungsversuche wurde das diesjährige Bitef von seinem traditionellen Termin im September aufs Jahresende verschoben, ohne dass ein konkretes Datum bekanntgeworden wäre. (dpa/jW)
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