Ein trinkender Mann
Von Angelo Algieri
Die Autorin Lena Schätte ist Jahrgang 1993 und hat ihren Debütroman »Ruhrpottliebe« (Marlon-Verlag) 2014 veröffentlicht. Der handelte von Dana aus dem Ruhrgebiet, die sich auf der Suche nach der großen Liebe auf einer Datingplattform anmeldet, und hatte allerlei humorvolle Momenten. Ganz anders ihr Zweitlingswerk »Das Schwarz an den Händen meines Vaters«, für das sie in diesem Jahr den W.-G.-Sebald-Literaturpreis erhalten hat.
Die Ich-Erzählerin, von allen »Motte« genannt, setzt sich in 64 Kurzkapiteln mit dem schwierigen Verhältnis zu ihrem Vater auseinander. Sie wächst in einer Arbeiterfamilie auf. Zunächst geht der Vater noch malochen, kommt abends nach Hause und riecht nach »Schweiß und Maschinenöl«. Doch er ist alkoholkrank – und bleibt bald montags der Arbeit fern. Er wird ins Büro versetzt, fühlt sich deplaziert, bleibt schließlich ganz weg und wird entlassen. Eines Tages, als Motte eine Teenagerin ist, fährt der Vater mit dem Auto betrunken in eine Bäckerei. Für sie das Schlimmste, fortan überall erkannt und abgestempelt zu werden: »Du bist also die Tochter von …«. Sie wird gemieden. Nur ihr Bruder hält zu ihr und bleibt eine wichtige emotionale Stütze.
Der Vater bemüht sich, gegen die Sucht anzukämpfen, doch seine Rückfälle sind schwer. Auch Motte beginnt zu trinken. So exzessiv, dass sich sogar ihr erster Freund für sie schämt. Auch er hat ein Alkoholproblem. Motte erkennt: »Ich verliebe mich in einen trinkenden Mann, weil es wie zu Hause ist. Ich kenne das.« Als ihr Freund im Gefängnis landet, trennt sie sich von ihm.
Neben der Rückschau gibt es einen weiteren Erzählstrang, der in der Gegenwart spielt: Der Vater ist an Krebs erkrankt. Zunächst weigert er sich, zum Arzt zu gehen, später bricht er die Chemo ab. Motte erfährt es als letzte. Denn: »Mein Bruder bekommt die Wahrheit, ich kriege nur die Geschichten.«
Lena Schätte gelingt Eindrückliches: Ihr Buch ist einfühlsam und präzise, tieftraurig und doch nie pathetisch. Ein Roman, der nahegeht, ohne kitschig zu werden. Der Ton ist nüchtern, beobachtend, analytisch. Die Szenen sind kompakt, jede Zeile sitzt. Kein Schwadronieren, kein Pathos. Statt dessen eine bedrückende Sachlichkeit, die um so stärker wirkt, weil sie so konsequent durchgehalten ist. Besonders bemerkenswert ist der Einsatz des Präsens. Alles, auch die Rückblenden in Kindheit und Jugend, wird in der Gegenwartsform erzählt. Das erzeugt eine intensive Unmittelbarkeit. Es passiert nicht irgendwann – es passiert jetzt. Die Vergangenheit ist nicht abgeschlossen, sie ist gegenwärtig und formt die Protagonistin fortwährend. Während das Präsens in anderen Romanen oft bemüht oder unpassend wirkt, ist es hier inhaltlich und stilistisch gerechtfertigt.
Der Roman überzeugt nicht nur mit seiner sprachlichen Präzision, sondern auch durch inhaltliche Tiefe. Indem Schätte nicht den alkoholkranken Vater, sondern die Tochter ins Zentrum rückt, macht sie die zerstörerische Dynamik von Koabhängigkeit sichtbar. Der Fokus liegt auf den seelischen und sozialen Folgen für die Angehörigen. Motte leidet, schweigt, hält aus. Sie trägt die Last der familiären Verhältnisse mit, wird von außen definiert durch das Verhalten ihres Vaters. Das erzeugt einen psychischen Druck, der ihr Leben und ihr Umfeld prägt.
Schätte weiß, wovon sie schreibt. Sie arbeitete lange als Psychiatriepflegerin und bringt dieses Wissen behutsam, aber spürbar, in ihren Text ein. Der Roman zeigt auch, wie sich Abhängigkeit über Generationen hinweg vererben kann. Alkohol, Sprachlosigkeit, Wut, Depression – sie alle hinterlassen Spuren in den Biographien. Ein Thema, das auch Autoren wie Édouard Louis umtreibt. Schätte steht ihnen in nichts nach.
Lena Schätte: Das Schwarz an den Händen meines Vaters. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2025, 192 Seiten, 24 Euro
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