Verfolgte Unschuld
Von Gerhard Hanloser
Nehmen wir mal an, ein Pärchen betritt ein linkes Szenecafé. Sie trägt ein T-Shirt mit dem deutlich erkennbaren Logo und Schriftzug der IDF, der sogenannten Israel Defense Forces. Eine Thekenkraft sieht das, weigert sich, die beiden zu bedienen, begründet dies mit dem Genozid Israels und erklärt, dass sie keine Zionisten bediene. So weit, so unproblematisch, so verständlich. Trotzdem würde sicher jemand irgendwo »linken Antisemitismus« konstatieren.
Nun trug sich vor kurzem in einem Neuköllner Szenelokal allerdings etwas anderes zu. Auf dem T-Shirt stand das Wort »Falafel« in drei Sprachen, auch auf arabisch und hebräisch. Mit dem Verkauf des sogenannten Falafel-Humanity-Shirts wird für die israelische Friedensinitiative »Women Wage Peace« Geld gesammelt, die sich für eine gewaltfreie Lösung des Israel-Palästina-Konflikts ausspricht. In heftiger Weise wurden T-Shirt-Trägerin und ihr israelischer Begleiter des Cafés verwiesen, wie die beiden dem Tagesspiegel schilderten, der über den Vorfall zuerst und ausführlich berichtete.
Ein Schlamassel. Für den Tagesspiegel ist klar: Er zeigt den linken Antisemitismus des Cafékollektivs. Auch die Taz schloss sich in einem Kommentar dieser Interpretation an. Auf den ersten Blick mag es so scheinen: Wenn allein der hebräische Schriftzug solch idiosynkratische Reaktionen provoziert, läge israelbezogener Antisemitismus vor, ein Antisemitismus also, der alle Juden oder Menschen, die Hebräisch sprechen, mit Israel und seiner Politik identifiziert und aggressiv angeht.
Die Cafébetreiber widersprechen dieser Deutung jedoch in einer Erklärung vom 23. Oktober, die wohlwollende Beobachter als Zeichen der Deeskalationsbereitschaft werten. Als Kollektiv von »trans*« und »queeren« Menschen, die selbst täglich Rassismuserfahrungen machen, sehe es den Schriftzug als Ausdruck einer kulturellen Beleidigung, weil Kulturen zu einem kulinarischen Symbol herabgewürdigt würden – und dies ausgerechnet zu einer Zeit, in der Menschen systematisch ausgehungert werden.
Ist das nun »linker Antisemitismus«? Da der Terminus ohnehin meist als ideologischer Kampfbegriff verwendet wird, ist man fast geneigt zu sagen: Es ist schlimmer. Das Ereignis in der Szenekneipe offenbart die politische Dummheit, die emotionale Beschränktheit, den hohldrehenden Autoritarismus, das selbstreferentielle, stereotypisierende Denken identitätspolitischer Milieus, die sich links fühlen. Die Erklärung atmet darüber hinaus – obwohl auf englisch formuliert – den typisch deutschen Geist, möchte man sagen, der »verfolgenden Unschuld« (Karl Kraus). Man schmeißt Leute grundlos raus, fühlt sich aber als eigentliches Opfer.
Der mit dem Begriff »Fetisch« spielende Name des Cafés »K-Fetisch« ist offenbar Programm. Vor Jahren galt der Ort als Treffpunkt der Antideutschen. Bedingungslose Israel-Unterstützung war das Leitbild, weil dafür laut genug getrommelt wurde. Palituchträger waren nicht wohlgelitten. Das hat sich lediglich verkehrt, die Stammeslogik ist geblieben.
Die aktuellen queer-antirassistisch-propalästinensischen Cafébetreibenden schreiben am Ende ihrer Erklärung, dass sie Solidarität und Unterstützung ihrer »Community« erfahren habe. Das ist ihr Horizont: die Gemeinschaft. Linke haben dagegen die Gesellschaft im Blick. Gesellschaftliches Denken beinhaltet, dass man den subjektiven Sinn sprachlicher und anderer symbolischer Akte verstehen und einzuordnen weiß. Das Falafel-T-Shirt mag eine kulturalistisch-liberalistische Botschaft transportieren. Angesichts eines Genozids mag sie manchem als zu reformistisch erscheinen. Aber die Botschaft des Shirts ist eine universalistische Anerkennung. Wer meint, eine solche heutzutage als feindlich behandeln zu müssen, ist ein Idiot. Ob auch noch ein antisemitischer, soll hier nicht entschieden werden.
Der Autor hat 2022 beim Wiener Mandelbaum-Verlag den Sammelband »Identität & Politik. Kritisches zu linken Positionierungen« herausgegeben
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