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Aus: Ausgabe vom 25.10.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Mücken, Elefanten und Migranten

Von Reinhard Lauterbach
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Kaum freut man sich aufs verdiente Wochenende, da treibt am Freitag früh der Spiegel in seinem Newsletter die nächste Sau durchs Dorf: »Putins 18-Sekunden-Provokation«. Was war passiert? Angeblich sollen am Donnerstag ein russisches Kampfflugzeug und eine Maschine zur Luftbetankung für 18 Sekunden in den litauischen Luftraum eingedrungen, 700 Meter tief in litauisches Gebiet vorgedrungen und dann wieder abgedreht sein. Nicht mal Flugbenzin ist ausgelaufen. Russland bestreitet, dass der Vorfall überhaupt stattgefunden habe. Als schon nichts mehr vorzufinden war, tauchten auch zwei spanische »Eurofighter« auf und patrouillieren seitdem den Luftraum, in dem nichts passiert. Dass sie sich mal nur nicht über den Njemen nach Süden verirren.

Die Kleinteiligkeit des Anlasses hinderte natürlich die nationale und alliierte Öffentlichkeit nicht, den Vorfall maximal zu skandalisieren: Litauens Regierungschefin Inga Ruginienė erklärte: »Dieser Vorfall zeigt einmal mehr, dass Russland sich wie ein Terrorstaat verhält und das Völkerrecht und die Sicherheit der Nachbarländer missachtet.«

Nur wodurch eigentlich? Dass sein Flugzeug sich einen halben Kilometer weit verfliegt oder indem es sich dem gerechten Abschuss durch die Flucht entzieht? Auch Friedrich Merz konnte nicht umhin, seinen Senf dazuzugeben: »Das ist eine weitere ernsthafte Luftraumverletzung, die nicht zufällig passiert, die auch nicht zufällig am heutigen Tag passiert.« Nämlich kurz nach einem EU-Gipfel, auf dem das Bündnis laut Spiegel wieder einmal hinter der Aufgabe zurückgeblieben ist: »Von der Nutzung eingefrorener russischer Vermögenswerte ist in dem beschlossenen Abschlussdokument zur Ukraine allerdings nicht mehr explizit die Rede. (…) Auch der dringende Auftrag an die EU-Kommission, konkrete Vorschläge zu entwickeln, fehlt im Text. Darin heißt es nur noch, die Kommission werde ›eingeladen‹, neue ›Optionen‹ für die finanzielle Unterstützung der Ukraine zu finden.«

Auch der FAZ vom Freitag war das alles nicht genug: »Die EU macht sich etwas vor, wenn sie das Vorziehen des Importverbots für russisches Flüssiggas um ein Jahr für einen großen Schritt hält. Es heißt vor allem, dass Putin seinen Krieg bis Ende 2026 weiter mit Geld aus Europa finanzieren kann.« Dass das ebenso für die Ukraine und ihr EU-Geld gilt, ist stillschweigend abgehakt.

Apropos Provokation: Der Spiegel fügte abschließend noch hinzu, die mutmaßliche – und übrigens nach wie vor nicht bewiesene – Verletzung des estnischen Luftraums im September habe zwölf Minuten angedauert. Wie wäre es mit etwas Kopfrechnen: Das ist 40mal länger als der jetzige Vorfall über Litauen – und der soll eine Eskalation gewesen sein? Geht’s nicht eine Nummer kleiner?

Ansonsten wälzte die FAZ die ganze Woche lang die Frage, wie ernst das Kanzlerwort von der AfD als derzeitigem »Hauptgegner« der CDU zu nehmen sei. Am Freitag resümierte der Wien-Korrespondent des Blatts die österreichischen Erfahrungen mit der angeblichen »Brandmauer« gegen die FPÖ. Die habe nichts gebracht, aber in der Regierungsbeteiligung habe sich die Partei »abgemildert«. Komplementär dazu hatte einen Tag vorher der Leitartikel dafür plädiert, die praktische Politik zu radikalisieren: »Rückführungen« von Ausländern sollten »Routine einer ausgewogenen Migrationspolitik« sein, denn die Zwangsausreise könne nicht auf Straftäter beschränkt werden: »Kaum beachtet wird zudem, dass Schutzgründe wegfallen können, wie jetzt im Falle Syriens, und deshalb ›Remigration‹ schon immer zur Flüchtlingspolitik gehörte. Bis das Wort von der AfD gekapert und ihr bereitwillig überlassen wurde.« Nicht mehr überlassen: das heißt zurückholen oder praktisch: tun, was die AfD verlangt.

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