Diakonie bekommt Recht
Von Susanne Knütter
Warum sollte man für ein kirchliches Unternehmen arbeiten, wenn man nicht christlich ist? Eine berechtigte Frage, die aber auf dem bayerischen Land oder im rheinland-pfälzischen Kreis Trier-Saarburg sicherlich anders beantwortet werden würde als in Berlin oder im brandenburgischen Neuruppin. Sich nicht bei einem bestimmten Betrieb zu bewerben, setzt voraus, dass es eine Auswahl gibt. Tatsächlich gehören die christlichen Kirchen zu den größten »Arbeitgebern« des Landes. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi beschäftigten sie und ihre Wohlfahrtsverbände insgesamt 1,8 Millionen Menschen. Nur im öffentlichen Dienst arbeiten noch mehr.
Das Bundesverfassungsgericht hat nun kirchliche »Arbeitgeber« gestärkt. Es ging um die Frage, ob Diakonie, Caritas und Co. bei Einstellungen eine bestimmte Religionszugehörigkeit von Bewerberinnen und Bewerbern fordern dürfen oder nicht. Das Karlsruher Gericht hob ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2019 auf, das ein Beharren auf Kirchenmitgliedschaft nicht in jedem Fall als gerechtfertigt ansah. Insbesondere nicht, wenn es um Jobs außerhalb seelsorgerischer oder traditionell für das christliche Profil der Institutionen zentraler Felder geht.
Im verhandelten Fall ging es um eine von der Diakonie ausgeschriebene Referentenstelle für das Projekt »Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention«. In der Ausschreibung wurde die Zugehörigkeit zu einer protestantischen Kirche verlangt. Die Frau machte in ihrer Bewerbung keine Angaben zu ihrer Konfession, wurde nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen und klagte. Das war 2012.
Das Bundesarbeitsgericht sah hier einen Verstoß gegen die europäische Antidiskriminierungsrichtlinie und sprach der Bewerberin 3.915 Euro Entschädigung zu. Die Diakonie sah sich durch das Urteil in ihrem religiösen Selbstbestimmungsrecht verletzt und beschwerte sich in Karlsruhe. Der Beschwerde hat das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag stattgegeben. In der Begründung hieß es, das Bundesarbeitsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie nationalen Gesetzgebern laut EuGH-Auslegung entsprechende »Spielräume« lasse.
Damit sind alle Interessengruppen zufrieden. »Das höchste deutsche Gericht hat für Klarheit gesorgt. Kirche und Diakonie dürfen in ihrer Einstellungspraxis in begründeten Fällen eine Kirchenmitgliedschaft ihrer Mitarbeitenden voraussetzen«, sagte Diakonie-Vorstand Jörg Kruttschnitt. »Dies steht nicht im Widerspruch zum europäischen Antidiskriminierungsrecht.« Die theologische Wertung und Überprüfung obliege dabei den kirchlichen »Arbeitgebern« und nicht staatlichen Gerichten. »Das Verfassungsgericht hat unseren Spielraum bestätigt – damit gehen wir sehr verantwortungsvoll um«, sagte Stephan Schaede, Vizepräsident der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).
Ebenso begrüßte Verdi das Urteil: »Im konkreten Einzelfall hat das Bundesverfassungsgericht zwar gegen die Klägerin entschieden«, erklärte Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. »Zugleich hat das Bundesverfassungsgericht aber die grundsätzliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts bestätigt, wonach die Kirche nicht einfach deshalb diskriminieren darf, weil sie Kirche ist.« Vielmehr müssten kirchliche »Arbeitgeber« den Gerichten konkrete berufliche Anforderungen darlegen, warum bestimmte Tätigkeiten eine Kirchenmitgliedschaft erforderlich machen.
Und Bühler appellierte: Es sei höchste Zeit, dass die Kirche im Jahr 2025 ankomme. »Niemand hat etwas dagegen, dass die Pfarrerin oder der Seelsorger Kirchenmitglied sein müssen.« Aber der willkürlichen Ausweitung auf andere Beschäftigte seien nun Grenzen gesetzt. »Schließlich pflegt eine qualifizierte Pflegekraft nicht weniger gut, nur weil sie kein Kirchenmitglied ist.«
Abgeschlossen ist die Streitfrage indes noch nicht. Karlsruhe wies den Fall zurück nach Erfurt. Des weiteren könnte demnächst schon eine Reaktion aus Luxemburg kommen. Denn dort liegen weitere Fälle zum deutschen Sonderweg des kirchlichen Arbeitsrechts zur Entscheidung vor.
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