Polizei vs. Bundeswehr
Von Philip Tassev
Da es mit dem klassischen Lokaljournalismus in den vergangenen Jahren bedauerlicherweise steil bergab ging, ist es gar nicht mehr so leicht, mitzubekommen, was so alles in der eigenen Region los ist. Das kann auch die bayerische Polizei bestätigen.
Am Mittwoch nachmittag geht bei der Erdinger Polizei ein Notruf ein: Bewohner der Stadt im Osten Münchens berichten von Gestalten in Tarnanzügen, die mit Gewehren bewaffnet am Ortsrand umherschleichen würden. Sofort steigt ein Helikopter auf, Dutzende Beamte rücken aus, ein Sondereinsatzkommando wird angefordert. An einem Stoppelfeld am Rande des Stadtteils Altenerding stoßen die Einsatzkräfte auf den Trupp Bewaffneter – und werden unter Feuer genommen. Die Polizisten feuern zurück, es kommt zum Schusswechsel. Was beide Seiten zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Hier beschießen sich die Organe der Staatsmacht gegenseitig. Denn die mit Gewehren Bewaffneten sind deutsche Soldaten beim Training – und haben nur Platzpatronen geladen. Anders die Polizeibeamten: Am Ende wird ein Soldat, von einem Streifschuss im Gesicht verletzt, ins Krankenhaus gebracht.
Seit Mittwoch führt die Bundeswehr in der Region nordöstlich von München mit rund 500 Militärpolizisten – den Feldjägern – die Übung »Marshal Power« durch. Ziel des Manövers ist nach Angaben der Armee, »insbesondere das Zusammenwirken mit zivilen Partnern der Blaulichtorganisationen zu vertiefen«. Das Übungsszenario sieht vor, dass die Soldaten in einem Gebiet hinter einer fiktiven Frontlinie trainieren, »die Kriegstüchtigkeit der Kampftruppen der Bundeswehr durchhaltefähig zu sichern«, indem sie gegen »irreguläre Kräfte«, »Drohnenbedrohung« und »Saboteure« vorgehen.
Und das »in Form einer sogenannten freilaufenden Volltruppenübung«. Soll heißen: Das Training findet nicht auf einem Truppenübungsplatz statt, »sondern im öffentlichen Raum mitten in einer Region, in der das zivile Leben weitergeht«. So soll die Truppe die Abläufe »realitätsnah« erlernen. Laut Spiegel seien auch US-Soldaten an der Übung beteiligt.
Zwar heißt es von seiten der Bundeswehr auch, die »Übungsaktivitäten« seien »im Vorfeld mit den zuständigen Kommunen und Behörden abgestimmt«. Doch bei der für Erding und Umgebung zuständigen Einsatzleitung scheint das nicht angekommen zu sein. Ein Polizeisprecher sagte gegenüber dpa: »Wir wussten nicht, dass zu diesem Zeitpunkt dort geübt wird.« In einer Mitteilung des Polizeipräsidiums Oberbayern-Nord vom Mittwoch abend heißt es, es sei »aufgrund einer Fehlinterpretation« zur Schussabgabe gekommen. Die örtliche Kriminalpolizei, das LKA und die Bundeswehr würden nun gemeinsam untersuchen, wo die Kommunikationslücke entstanden ist. Dennoch soll das Manöver wie geplant fortgesetzt werden, wie ein Sprecher des Feldjägerregiments 3 dem Münchner Merkur am Donnerstag mitteilte.
Der Sprecher der bayerischen Linkspartei, Martin Bauhof, bezeichnete es gegenüber junge Welt als »echt unglaublich, dass die Bundeswehr bewusst in der Öffentlichkeit – also mitten im Alltag der Leute – Krieg simuliert«. Es sei kein Wunder, dass »die Polizei gerufen wird, wenn Soldaten mit Waffen durch die Gegend laufen. Dass diese dann noch nicht mal Bescheid weiß, ist einfach nur unfassbar.« Der Vorfall zeige »sehr anschaulich, dass mehr Waffen und mehr Militär unsere Sicherheit gefährden – im Kleinen, wie im Großen. Nur Abrüstung und Diplomatie sorgen für echten Frieden.«
Der bayerische Landesvorsitzende der Berufsvereinigung »Deutsche Polizeigewerkschaft«, Jürgen Köhnlein, kann dem Ganzen hingegen noch etwas Positives abgewinnen. Wie er der Süddeutschen Zeitung sagte, habe sich gezeigt, wie »schlagkräftig« die bayerische Polizei auf Alarmsituationen reagieren könne.
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