Klingbeil lässt Städte absaufen
Von Ralf Wurzbacher
Kaiserslautern hat, bis auf einen bekannten Fußballklub, nicht allzuviel zu bieten. Großer Beliebtheit erfreuen sich noch der Freizeitpark »Gartenschau«, der Japanische Garten sowie das altehrwürdige Freibad »Waschmühle«. Seit Jahren schon startet die »Wäsch« mit wochenlanger Verspätung in die Saison, weil im Frühjahr zunächst die Spuren des Winters notdürftig zu beheben sind. Eigentlich bedürfte das über 160 Meter lange Becken dringend einer Generalsanierung. Die aber kann sich die Stadt nicht leisten. Sie zählt schon sehr lange zu den ärmsten Kommunen in Deutschland. Das verlangt der Bevölkerung immer neue Opfer ab, durch steigende Abgaben und wegbrechende Angebote. Läuft es ganz schlecht, könnte es schon bald um die »Gartenschau« und den Japanischen Garten geschehen sein. Beide sind akut von Schließung bedroht.
Die Bundesregierung bereitet gerade den nächsten Schlag gegen die chronisch überschuldeten Städte und Gemeinden vor. Sie will drei ihrer Wahlversprechen einlösen: die Absenkung der Umsatzsteuer für Speisen in der Gastronomie von 19 auf sieben Prozent, die Erhöhung der Pendlerpauschale auf 38 Cent ab dem ersten gefahrenen Kilometer sowie eine Anhebung der Ehrenamtspauschale von 840 auf 960 Euro. Die Maßnahmen versprechen für die direkt betroffenen Gruppen Entlastung, zudem für jene, die gerne im Restaurant essen gehen. Aber sie reißen auch neue Löcher auf in den öffentlichen Kassen. Der Bundesrat hat in der Vorwoche die von 2026 bis 2030 fälligen Einbußen durch die Gesetzesvorhaben auf 11,2 Milliarden Euro bei den Ländern und 1,4 Milliarden Euro bei Städten und Gemeinden beziffert. Das sei laut einer Stellungnahme nicht zumutbar, weshalb ihnen die Bundesregierung zur Seite springen müsse.
Aber Bundesfinanzminister Lars Klingbeil stellt sich quer. Mit einem Machtwort via Bild hat er die Bittsteller am Mittwoch rüde abgekanzelt. »Sehr klar ist: Es wird keine Kompensation des Bundes geben.« Wollten einige unionsgeführte Länder das nicht akzeptieren, könne es mit den Neuerungen eben nichts werden. »Ich glaube nicht, dass sie das riskieren wollen«, so der SPD-Politiker. Dabei scheint er zu verkennen, dass sein Kurs auch innerhalb der eigenen Partei auf Missmut stößt. Der rheinland-pfälzische Regierungschef Alexander Schweitzer (SPD), Gastgeber der Ministerpräsidentenkonferenz, die seit Donnerstag in Mainz tagt, stichelte am Dienstag Richtung Klingbeil: »Da braucht man sich jetzt nicht kraftmeierisch Interviews gegenseitig um die Ohren zu hauen.« Und er stellte klar, dass die Bund-Länder-Finanzbeziehung grundsätzlich überprüft gehöre. Bestelle der Bund mehr, müssen er auch mehr bezahlen. »Da werden wir noch ein bisschen miteinander ringen müssen.«
Tatsächlich könnten die Länder die Regierungspläne mit ihrem Veto stoppen, was allerdings auch auf sie zurückfallen und der AfD weiteren Zuspruch verschaffen dürfte. Zugleich muss die Koalition den Wählern endlich etwas liefern, nachdem sie bereits eine generelle Senkung der Stromsteuer wegen Haushaltsnöten kurzerhand abgeräumt hatte. Gerade die SPD hat viel zu verlieren. Nach Ergebnissen des neuesten INSA-Trends äußerten nur noch neun Prozent der Befragten, sicher bei den Sozialdemokraten ihr Kreuz machen zu wollen. Bei der Sonntagsfrage rutschte die Partei auf 14 Prozent ab, die CDU auf 24,5 Prozent, während sich die AfD auf 27 Prozent verbesserte. Kapital schlägt die insbesondere aus der Misere der Kommunen, weil dort die bundespolitischen Verfehlungen unmittelbar spürbar sind. Gerade die Kosten für die Betreuung und Integration von Geflüchteten, speziell die aus der Ukraine, haben viele Städte und Gemeinden an die Belastungsgrenze und darüber hinaus gebracht.
Das ist freilich Wasser auf die Mühlen der Rechten. Kaiserslautern ist dafür so etwas wie ein »Mahnmal«. Bei der Bundestagswahl räumte hier die AfD als stärkste Kraft mit 25,9 Prozent der Zweitstimmen ab. Das war »Spitze« unter allen westdeutschen Wahlkreisen. Ohne »Gartenschau« und »Waschmühle« dürfte das rechte Potential noch größer werden. Und alle anderen gehen baden.
Siehe auch
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
Britta Pedersen/dpa06.09.2025Aufrüstung auf Pump
Liesa Johannssen/REUTERS13.08.2025100 Tage Murz
Montage jW / NADJA WOHLLEBEN/REUTERS31.01.2025Merkel gegen Merz
Mehr aus: Inland
-
Der Ofen ist aus
vom 24.10.2025 -
Polizei vs. Bundeswehr
vom 24.10.2025 -
Als Arbeitskräfte willkommen
vom 24.10.2025 -
Diakonie bekommt Recht
vom 24.10.2025 -
»Die Situation heute ist vielleicht noch bedrohlicher«
vom 24.10.2025 -
»Viele sind unzufrieden, wie berichtet wird«
vom 24.10.2025