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Aus: Ausgabe vom 15.10.2025, Seite 6 / Ausland
Polen/Belarus

Poker um Grenzkontrollen

Polen will mit Hilfe Chinas Druck auf den Nachbarn Belarus ausüben
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Nicht nur mit Stacheldraht bewehrt: Martialisches Aufgebot an der Grenze zu Belarus (15.11.2024)

In die festgefahrene Situation an der Grenze zwischen Polen und Belarus kommt allmählich etwas Bewegung. Polen hatte Anfang September alle seine Grenzübergänge zu Belarus geschlossen. Begründet wurde das mit dem seinerzeit stattfindenden Manöver »Sapad 2025« unter Beteiligung russischer und belarussischer Truppen. Das Manöver endete nach 14 Tagen ohne besondere Vorfälle. Mit Wirkung vom 25. September hat Polen nun den Hauptgrenzübergang Terespol–Brest wieder geöffnet.

Aber dessen Kapazitäten reichen bei weitem nicht aus. Wie der polnische Spediteursverband vergangene Woche mitteilte, warten auf belarussischer Seite inzwischen mehr als 3.000 Lkw mit Exportgütern aus dem Osten – wegen des schleppenden Abfertigungsverfahrens dauere die Wartezeit bis zu acht Tage, klagte der Verband. Dies bedeute für die Fahrer untragbare Bedingungen: Stehen im Niemandsland ohne Zugang zu Wasser und Toiletten und bei immer kälteren Temperaturen, während das Heizen der Fahrerkabinen wegen mangelnden Treibstoffs immer schwieriger werde. Der Grund für die schleppende Abfertigung an der Grenze liegt nach offiziellen polnischen Angaben im Personalmangel beim eigenen Zoll.

Polen versucht, im Verhältnis zu Belarus mit den Handelsbehinderungen auch politische Ziele zu erreichen. Nachdem der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko sich gegen Appelle und Sanktionen dank des Rückhalts aus Russland resilient gezeigt hat, versucht Polens Außenminister Radosław Sikorski jetzt, über die chinesische Bande Druck auszuüben. Denn Belarus ist auch das wichtigste Transitland für den Teil der chinesischen Exporte in die EU, die mit der Bahn über Kasachstan und Russland transportiert werden. Es geht um ein Handelsvolumen von 30 Milliarden Euro, vor allem aber um eine Konkurrenz um die alternativen Transportkapazitäten, um Waren aus dem Osten über Belarus in die EU zu schaffen. Für belarussische Produkte ist die Grenze zu Litauen seit 2020 gesperrt, nur über Lettland geht noch etwas. Belarus versucht deshalb, seine Exporte in die EU – es handelt sich vor allem um Düngemittel – über russische Häfen im Umland von St. Petersburg außer Landes zu bringen. Dort aber haben sich die von der polnischen Grenzsperre alarmierten Chinesen kurzfristig Verladekapazitäten gesichert.

Die Situation war China so wichtig, dass noch im September Außenminister Wang Yi nach Warschau kam, und ein Mitglied des Ständigen Komitees des Politbüros, Li Xi, reiste nach Minsk. Bei dem Besuch Wangs stellte Außenminister Sikorski drei Forderungen, die Belarus erfüllen müsse, wenn es den Transitverkehr wieder flüssiger bekommen wolle: erstens ein Ende irregulärer Migrationsbewegungen über die belarussisch-polnische Grenze. Dahinter stehe Moskau, das Migranten über seine Flughäfen die Weiterreise nach Belarus ermögliche. Zweitens verlangt Polen von Belarus, dass der seit mehreren Jahren in Belarus als Lukaschenko-Gegner inhaftierte Aktivist der polnischen Minderheit, Andrzej Poczobut, freigelassen wird, und drittens eine Zusammenarbeit bei der Ermittlung des Hergangs beim Tod eines am Grenzzaun erstochenen polnischen Soldaten.

Polen hofft, dass es Lukaschenko bei seinem wirtschaftlichen Eigeninteresse packen und China dafür einspannen kann, um das Verhältnis zwischen Minsk und Moskau zu lockern. Ob die Kalkulation aufgeht, muss sich zeigen. Einstweilen droht Polen, es könne die Grenze jederzeit wieder vollständig sperren.

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