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Aus: Ausgabe vom 15.10.2025, Seite 7 / Ausland
Gazakrieg

Teile und herrsche in Gaza

Israel tötet weitere Menschen im Küstenstreifen und baut Milizen als Konkurrenz zur Hamas auf
Von Jakob Reimann
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Das, was von Gaza-Stadt übriggeblieben ist, am Dienstag

Auch nach der Freilassung der letzten lebenden Geiseln durch die Hamas am Montag tötet Israel weiter: Am Dienstag vormittag haben israelische Truppen in Gaza-Stadt das Feuer auf eine Gruppe eröffnet und fünf Personen erschossen, wie Al-Dschasira berichtete. »Mehrere Verdächtige« hätten sich den Soldaten »genähert«, behaupten die Besatzungstruppen in einem Post auf X zur Begründung. Nach Ausrufen des Kriegsendes durch US-Präsident Donald Trump ziehen viele vertriebene Palästinenser in ihre zerbombten Nachbarschaften im Norden der Enklave zurück.

Auch in Dschabalija feuerten israelische Truppen am Dienstag dabei auf Personen und verletzten mehrere von ihnen. Kurz vor dem Inkrafttreten des Waffenstillstands führten israelische Soldaten mehrerer Brigaden in einer scheinbar koordinierten Weise zudem Brandanschläge auf zivile Infrastruktur in Gebieten durch, aus denen sie sich zurückzogen, wie eine Untersuchung von Drop Site News ergab. Soldaten posteten Videos und Fotos von brennenden Wohnhäusern oder Nahrungsmittellagern, die sie zuvor angezündet hatten. Auch das Klärwerk Scheich Ajlin wurde demnach in Brand gesetzt, wodurch die Abwasserentsorgung der gesamten Region weitgehend zusammenbrach. Das Klärwerk wurde mit Investitionen aus Deutschland in Höhe von mindestens 19 Millionen Euro finanziert. Die Bundesregierung hat sich bislang nicht zum Anschlag auf die von ihr mitfinanzierte Anlage geäußert.

Dem »Friedensplan« von Donald Trump zufolge soll der Gazastreifen künftig unter Aufsicht von Trump und dem ehemaligen britischen Premier Tony Blair von einer nicht näher bestimmten »technokratischen, unpolitischen palästinensischen Kommission« verwaltet werden. Nach Abschluss eines »Reformprogramms« soll die »Kontrolle über Gaza« schließlich von der Palästinensischen Nationalbehörde (PA) ausgeübt werden, wobei Ministerpräsident Benjamin Netanjahu jedoch wiederholt und zuletzt am Wochenende klargestellt hat, dass die PA keinerlei Rolle in Gaza spielen werde. Die israelische Regierung hat für die Verwaltung indes eine Gruppe krimineller Kollaborateure im Sinn, mit der sie seit geraumer Zeit in Gaza zusammenarbeitet: Jasser Abu Al-Schabab und dessen islamistische »Popular Forces«.

Abu Al-Schababs »Volkskräfte« stehen dem IS nahe und sind in Gaza berüchtigt für Überfälle auf Hilfskonvois – wie den im November, als die Gruppe wohl unter Schutz israelischer Truppen, wie die Washington Post berichtete, rund 100 Hilfstrucks der UNO überfiel. Die Miliz verfügt nach jüngsten Rekrutierungswellen über rund 3.000 Kämpfer, und ihre Hochburg liegt in einem 50 Hektar großen Areal im Südosten des Gazastreifens, in dem es – im Gegensatz zum Rest der abgeriegelten Enklave – Nahrungsmittel im Überfluss gibt, wie aus einer jüngsten Recherche von Sky News hervorgeht. Das Hauptquartier der »Volkskräfte« liegt strategisch entlang der Route, auf der Hilfstransporte über den israelischen Grenzposten Karem Abu Salem (Kerem Schalom) nach Gaza gelangen. Diese Strecke wird von Hilfsorganisationen als »Looters’ Alley« (»Gasse der Plünderer«) bezeichnet. Ein interner UN-Bericht vom November 2024 identifizierte Abu Al-Schabab und seine Miliz als »die einflussreichsten Akteure hinter der systematischen und massiven Plünderung der Konvois«. Über ein von der PA betriebenes »Koordinationsbüro«, in das ägyptische, israelische und jordanische »Sicherheitsbehörden« involviert seien, würden »Bargeld, Lebensmittel, Waffen und Fahrzeuge« an Abu Al-Schabab geschmuggelt, so einer seiner Kommandeure gegenüber Sky News.

Die Gruppe werde vom israelischen Inlandsgeheimdienst Shin Bet unterstützt und arbeite auch mit den US-Söldnern der berüchtigten Gaza Humanitarian Foundation zusammen, die seit Mai die Nahrungsmittelverteilzentren in Gaza überwachten, an denen über 2.000 hungrige Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen wurden. Die Miliz lebe »im Luxus«, heißt es bei Sky News. Israel baut sich die islamistischen »Volkskräfte« um den Räuber Abu Al-Schabab als Stellvertreter auf, um – unabhängig von den weiteren Entwicklungen um den US-»Friedensplan« – dauerhaft Einfluss in Gaza zu behalten.

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