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Aus: Ausgabe vom 17.09.2025, Seite 3 / Schwerpunkt
Polen

Glücksfall für Tusk

Der Drohnenvorfall über Polen hat Nawrocki einen Strich durch die Rechnung gemacht
Von Reinhard Lauterbach
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Dass Präsident Karol Nawrocki aus Berlin in Sachen Reparationen irgend etwas nach Hause bringen würde, hat in Polen niemand erwartet. Das Thema am Jahrestag des deutschen Überfalls auf Polen offiziell aufzugreifen war ein Schachzug in der innenpolitischen Auseinandersetzung der polnischen Rechten mit der Tusk-Regierung. Die wird im PiS-finanzierten Propagandasender TV Republika pausenlos als Handlanger deutscher Interessen dargestellt, die angeblich nicht einmal etwas von Deutschland fordere, sondern gleich klein beigebe. Die Dämonisierung der BRD ist bei Jarosław Kaczyński und Co. Hauptlinie der Argumentation.

Dieser Kampagne hat der Drohnenvorfall über Polen am 10. September – im Land wird nur von einem »brutalen russischen Angriff« auf nichts Geringeres als den heiligen polnischen Luftraum gesprochen – zumindest eine Pause verordnet. Denn angesichts der »Bedrohung aus dem Osten« stand zunächst einmal nationaler Konsens auf der politischen Tagesordnung, zumal die Versäumnisse bei der polnischen Drohnenabwehr, die der Vorfall offengelegt hat, überwiegend aus der PiS-Zeit stammen. Die Tusk-Regierung nutzte dieses Bedürfnis der Öffentlichkeit aus, indem sie sich wiederholt bei der Präsidialkanzlei Nawrockis für die »konstruktive Zusammenarbeit« im Interesse der »Sicherheit Polens« bedankte. Nawrocki hat übrigens ein Gespür dafür, dass jetzt eher Burgfrieden angesagt ist. So hat er auf seine Reise nach Berlin und Paris Vizeaußenminister Teofil Bartoszewski – den Sohn des früheren Außenministers Władysław Bartoszewski – mitgenommen.

Das ist durchaus eine Geste angesichts des Umstands, dass Nawrocki in seinen ersten Amtswochen versucht hatte, eine von der Tusk-Regierung unabhängige Nebenaußenpolitik zu betreiben. So hat er sich auf seiner USA-Reise kurz nach seiner Vereidigung von niemandem aus der Regierung begleiten lassen und sich die schriftlich eingereichten »Talking points« von Außenminister Radosław Sikorski ausdrücklich verbeten. Nawrockis Leute haben auch von Anfang an die These vertreten, dass die Vertretung Polens im Ausland Aufgabe des Staatschefs sei – entgegen der Verfassung, die das Regieren zur Sache der Regierung und nicht des Präsidenten macht. Aber die Verfassung will Nawrocki sowieso in Richtung Präsidialsystem ändern.

Tusk und seine Leute haben die Atempause, die ihnen der Drohnenvorfall für die polnische Innenpolitik verschafft hat, blitzartig genutzt und stellen sich jetzt als die härtest denkbaren Russland-Gegner dar. Ihr NATO-Botschafter erklärte in der Rzeczpospolita vom Dienstag, die polnische Drohnenabwehr dürfe »nicht nur defensiv« sein, die tusktreue Gazeta Wyborcza unkte am selben Tag, in Polen herrsche jetzt »Vorkriegszeit«, darauf müsse sich das Land einstellen.

Außenminister Sikorski hat derweilen – angeblich wegen des laufenden russisch-belarussischen Militärmanövers »Sapad-2025« – die polnische Grenze zu Belarus generell sperren lassen; und zwar nicht bis zum Ende des Manövers, sondern »bis auf weiteres«. Polen will damit weniger Minsk treffen – das Handels- und Reisevolumen ist ohnehin durch die Sanktionen minimal –, sondern China. Denn für Beijing ist Belarus das entscheidende Land für den Warentransit zu Lande in die EU. Warschaus Ziel ist, China zu bewegen, seine Unterstützung für Russland bei der Umgehung der Sanktionen einzustellen. Und China nimmt die polnische Drohung immerhin so ernst, dass es seinen Außenminister Wang Yi nach Warschau schickte, um zu fragen, was da eigentlich los sei in Polen.

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