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Aus: Ausgabe vom 27.09.2025, Seite 7 / Ausland
Migrationspolitik

Völkerrecht aufgehoben

Warschau schränkt Asyl ein. Hilfsorganisation fordert Abschiebeverbot nach Polen
Von Yaro Allisat
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Hier soll niemand durchkommen: Polnischer Zaun an der Grenze zu Belarus (Topilo, 3.6.2024)

Polen verweigert landesweit die Annahme von Asylanträgen von Schutzsuchenden, die über Belarus geflohen sind. Bisher lehnte die polnische Grenzschutzbehörde die Asylantragstellung nur direkt an der Grenze ab. Anfang der Woche machte die polnische Nichtregierungsorganisation Stowarzyszenie Interwencji Prawnej (SIP, Verein für rechtliche Intervention) dann bekannt, dass diese Praxis, die EU- und internationalem Recht widerspricht, offensichtlich auf das ganze Land ausgeweitet wurde.

2021 waren vermehrt Geflüchtete über Belarus nach Polen gekommen. NGOs berichteten von Misshandlungen durch polnische Grenzbeamte, Pushbacks und systematischen Inhaftierungen. Ein 22jähriger Mann aus Syrien wurde von einem polnischen Soldaten erschossen, ein weiterer Syrer 2023 tot an der Grenze aufgefunden, eine 20jährige Somalierin starb im August desselben Jahres nach mehreren Pushbacks im Grenzstreifen. Die Zahl der Schutzsuchenden war nach 2021 zwar zurückgegangen, die Antiasylhetze der rechten Kräfte in Polen aber ging weiter. Im März 2025 verankerte die Regierung die Aussetzung des Asylrechts für Personen, die über Belarus kommen, gesetzlich, mit der Begründung, an der Grenze bestehe ein zeitweiser Notstand.

Der deutschen Organisation Pro Asyl zufolge würde diese Begründung vor EU-Gerichten nicht standhalten. Das Non-Refoulement-Verbot, ein völkerrechtlicher Grundsatz, der unter anderem in der Genfer Flüchtlingskonvention festgeschrieben ist, verbietet Abschiebungen in unsichere Staaten. Bevor Personen, die einen Asylantrag stellen, an einer Grenze zurückgeschoben werden, ist ein Staat also verpflichtet zu prüfen, ob im Zielland Gefahren wie Folter, unmenschliche Behandlung oder Kettenabschiebungen drohen.

Schon lange gibt es große Defizite im polnischen Asylsystem, besonders auch bei der Unterbringung Geflüchteter. Pro Asyl spricht von systemischen Mängeln und fordert in einer Mitteilung: »Spätestens jetzt muss die Bundesregierung Abschiebungen nach Polen stoppen!« Im ersten Halbjahr 2025 hat Deutschland im Rahmen des Dublin-Verfahrens 231 Personen nach Polen abgeschoben.

Rechte heizen die Stimmung gegen Asylsuchende in Polen auf. Im Wahlkampf um das Präsidentenamt, den Karol Nawrocki, parteiloser Kandidat der rechtsnationalistischen PiS, im Juni dieses Jahres für sich entscheiden konnte, war Migration ein zentrales Thema. Im Juli richtete die Regierung des für seine Pro-EU-Haltung bekannten Premierministers Donald Tusk als Reaktion auf die deutschen Grenzkontrollen eigene ein. Parallel entstanden Bürgerwehren, die Übertritte überwachten und von der Regierung toleriert wurden.

Auch der Druck auf Personen, die den Geflüchteten an der polnisch-belarussischen Grenze Kleidung und Essen gaben, stieg. Die »Hajnówka 5« mussten sich mehrere Monate lang vor dem Gericht Białystok wegen vermeintlichen Schleppertums verantworten. Anfang des Monats wurden die fünf polnischen Aktivisten freigesprochen. Zahlreiche Organisationen sind weiter an der polnisch-belarussischen Grenze aktiv.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (27. September 2025 um 07:17 Uhr)
    Es ist der letzte Satz des Artikels, der mich weiter an die Mitmenschlichkeit der Polen glauben lässt, egal was die Politik ihnen vorzuschreiben versucht. Nie sollten wir ein Volk mit seiner Regierung verwechseln. Wie schön, dass sich diese Mitmenschlichkeit gerade auch in Ostpolen weiter so deutlich zeigt!

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