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Aus: Ausgabe vom 27.09.2025, Seite 6 / Ausland
Brief aus Jerusalem

Alles kurz und klein geschlagen

Brief aus Jerusalem. Israelische Armee greift Universität Birzeit an
Von Helga Baumgarten
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Vor der Studentenvertretung: Plakate und Fotos heruntergerissen, Wachpersonal krankenhausreif geschlagen (Birzeit, 22.9.2025)

In der Nacht von Sonntag auf Montag war es wieder einmal so weit. Die israelische Armee attackierte den Campus der nördlich von Jerusalem gelegenen Universität Birzeit mit elf Jeeps und anderen Armeefahrzeugen. Der Angriff begann kurz nach Mitternacht, und die Armee tobte sich drei volle Stunden lang aus, wie mir verschiedene Kolleginnen aus Birzeit in ausführlichen Gesprächen berichteten. Zuerst wurden die Sicherheitsleute der Universität überwältigt, sprich: zusammengeschlagen. Zwei mussten im Krankenhaus behandelt werden.

In der Universität nahmen sich die Soldaten zunächst das kleine Gebäude nahe dem Eingang vor, in dem der Studentenrat seine Büros hat. Die Türen wurden aufgebrochen, alles, was den Soldaten in die Hände fiel, wurde mutwillig zerstört, nicht zuletzt die Plakate, mit denen die Studenten ihre Solidarität mit Gaza ausdrückten. Zur Info: Der Studentenrat in Birzeit besteht aus einer Koalition von Hamas und Fatah. Hamas ist die stärkere Gruppe, hat aber keine absolute Mehrheit. Deshalb gibt es schon seit einigen Jahren eine Koalition, die den Studentenrat leitet.

Dann waren die geisteswissenschaftliche Fakultät und die Fakultät für Kunst, Musik und Design dran. Den Abschluss bildete das Audimax. Dort demolierten die Soldaten ein Kunstwerk, das Solidarität mit Gaza ausdrückte. Außerdem verbreiteten sie Flugblätter, auf denen die gesamte Universität bedroht wurde. Die stärkste Drohung richtete sich an den Studentenrat, der beschuldigt wurde, »terroristische Aktivitäten« zu begehen. Sollte man diese weiterverfolgen, so die Armee, verderbe man sich seine Zukunft.

Birzeit betonte in einem weltweiten Aufruf zur Solidarität: »Diese Attacke ist Teil einer organisierten Politik, die alles versucht, um palästinensischen Universitäten Schaden zuzufügen. Vor allem muss man sie vor dem Hintergrund der Vernichtungspolitik in Gaza und der Gewalteskalation in der Westbank sehen.« Die Korrespondenten von Haaretz, die über die Attacke berichteten, baten die Armee um eine Stellungnahme. Sie erhielten, wie üblich, keine Antwort.

Der Angriff auf Birzeit war in der Tat kein Einzelfall. In derselben Nacht wurde in Hebron Mustafa Schawar verhaftet, ein Professor an der dortigen Universität. Und inzwischen werden immer mehr Ortschaften im Westjordanland hermetisch abgeriegelt: mit eisernen Schranken. Siedler verüben, unterstützt von der Armee, ständig neue Angriffe gegen einzelne Dörfer und Flüchtlingslager, vom Norden der Westbank bis in den tiefen Süden.

Und gerade jetzt haben die jüdischen Feiertage begonnen, zunächst mit dem Neuen Jahr. Die Feierlichkeiten begannen am Montag abend, die Neujahrstage waren Dienstag und Mittwoch. Die Allenby-Brücke, die Jordanien mit Palästina verbindet, wurde geschlossen, wie es heißt: »bis auf weiteres«. Inzwischen wird die Schließung als »Strafe« für die Anerkennung eines palästinensischen Staates in der UNO interpretiert.

Derweil dringen extremistische Siedler in den Haram Al-Scharif in Ostjerusalem mit Felsendom (also Sachra-Moschee) und Aksa-Moschee ein und beten und singen dort, in klarer und vor allem rücksichtsloser Verletzung des Status quo. Muslimische Gläubige haben zusehends weniger Möglichkeiten, in der wichtigsten Moschee in Palästina, dem drittwichtigsten Heiligtum der Muslime, zu beten. Vor der UN-Vollversammlung wies Jordaniens König Abdallah II. am Mittwoch ausdrücklich darauf hin, dass all dies ein Pulverfass sei, aus dem ein regionaler, wenn nicht sogar weltweiter Religionskrieg entstehen könne.

Die Autorin ist emeritierte Professorin für Politik der Universität Birzeit.

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