Polens Grenzorte wehren sich
Von Alicja Flisak
Polen will die vorübergehenden Kontrollen an der Grenze zu Deutschland offenbar bis zum 4. Oktober verlängern. Das geht aus einem Entwurf des Innenministeriums hervor, der derzeit noch innerhalb der Regierung abgestimmt wird, wie die polnische Nachrichtenagentur PAP am Mittwoch meldete. Eingeführt wurden die Kontrollen Anfang Juli von der Regierung unter Premierminister Donald Tusk – offiziell als Reaktion auf die Zurückweisungen Geflüchteter durch deutsche Behörden und die bereits 2023 erfolgte zeitweise Grenzschließung. Zunächst sind sie bis zum 5. August befristet. Eine erste Bilanz fällt jedoch ernüchternd aus.
Nach Angaben der polnischen Grenzpolizei wurden in diesem Zeitraum rund 70.000 Personen kontrolliert und 35.000 Fahrzeuge angehalten. Zurückgewiesen wurden 76 Menschen – Hinweise auf Schleusung oder sicherheitsrelevante Vorfälle gab es nicht. Der sicherheitspolitische Nutzen der Maßnahme ist damit äußerst begrenzt.
Dennoch löste sie in Polen eine spürbare politische Dynamik aus. Rechte Gruppierungen, angeführt von der Partei Konfederacja, nutzen die Situation gezielt zur Mobilisierung gegen Migration. An mehreren Grenzübergängen kommt es seither zu Protesten, Blockaden und sogenannten Bürgerwachen. Die Rhetorik ist zunehmend aggressiv – in Onlinenetzwerken ist von »Grenzschutz durch das Volk« und »Selbstverteidigung« die Rede. Diese Gruppen stammen oft nicht aus der Region, sondern werden von organisierten Rechten aus dem Landesinneren mobilisiert. So auch in Zgorzelec, wo der bekannte Nationalist Robert Bąkiewicz regelmäßig Kundgebungen an der Grenzbrücke abhält. Nach seiner Hetze gegen Proteste für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen propagiert er nun den »Schutz Polens vor illegalen Migranten« als neue Mission. Die Reaktionen vor Ort sind überwiegend kritisch: In sozialen Netzwerken forderten viele Anwohner die Abreise der Nationalisten mit Kommentaren wie »Macht uns nicht die Stadt kaputt« oder »Blockiert lieber ein Ministerium als unsere Brücke«.
Zgorzelec und das deutsche Görlitz sind historisch eine Stadt, heute jedoch durch die Neiße getrennt. Viele leben auf der einen Seite und arbeiten oder kaufen ein auf der anderen. Die Kontrollen sorgen für spürbares Chaos – besonders zu Schichtwechselzeiten kommt es am Übergang Görlitz–Zgorzelec zu langen Wartezeiten. Bürgermeister Rafał Gronicz setzt sich seit Monaten gegen die Maßnahmen ein, wandte sich an Landes- und EU-Politiker, an Sachsens Ministerpräsidenten, den Oberbürgermeister von Görlitz und zuletzt an den Bundeskanzler.
Nach dem Schengen-Beitritt wurde die Infrastruktur in Zgorzelec auf offene Grenzen ausgerichtet: weniger Spuren, keine festen Kontrollanlagen, Tankstelle statt Zollbehörde. Heute stößt sie an ihre Grenzen – wie vielerorts entlang der deutsch-polnischen Grenze. Besonders betroffen sind Pendler, die in Deutschland arbeiten – etwa in Pflege, Industrie oder Dienstleistung. Für sie bedeuten die Kontrollen Stress, Unsicherheit und finanzielle Einbußen. Auch Unternehmen klagen über Planungsprobleme und Lieferverzögerungen. Die Auswirkungen auf den Alltag Zehntausender gehen längst über symbolische Politik hinaus.
Der politische Kontext ist entscheidend: In Deutschland wie in Polen haben die Regierungen mit Grenzkontrollen auf Druck von rechts geantwortet – und übernahmen dabei in Teilen deren Narrative. Die tatsächliche Zahl irregulärer Grenzübertritte wird überschätzt, während soziale Ursachen wie Armut, Wohnungsknappheit oder prekäre Jobs kaum adressiert werden. Migration wird zum Ausweichkonflikt, der reale Spannungen überdeckt, aber nicht löst.
Die Regierung sendet damit ein innenpolitisches Signal: Handlungsfähigkeit gegen ein Problem, das empirisch kaum existiert. Gleichzeitig riskiert sie gesellschaftliche Spaltung. Die politische Stimmungsmache hat reale Folgen: gestörte Lieferketten, verunsicherte Beschäftigte, wachsender Fachkräftemangel. Die kommenden Tage werden zeigen, ob die Kontrollen weiter verlängert werden. Bisherige Ergebnisse sprechen gegen ihre Notwendigkeit.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besonderen Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Ähnliche:
- IMAGO/Future Image07.07.2025
Schengen – wo liegt das?
- Andy Bünning/imago03.07.2025
Vor Rechten eingeknickt
- Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa01.07.2025
Bürgerwehr auf Menschenjagd
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Widerstand ist möglich
vom 02.08.2025 -
Schlappe für Italiens Abschiebepraxis
vom 02.08.2025 -
Nein zum Dekret
vom 02.08.2025 -
Systematisch ausgehungert
vom 02.08.2025 -
Das gefeierte Massaker
vom 02.08.2025 -
»Verteidigung« mit Palantir
vom 02.08.2025