Leserbrief zum Artikel Die Linke: Politik der Vereinfachung
vom 08.04.2019:
Kein Beitrag zum Verständnis
Dass Wagenknechts angeblich häufig benutztes Adverb »wieder« nach Mellenthin die Sehnsucht nach den Zeiten Willy Brandts signalisiert, erscheint mir an den Haaren herbeigezogen. Wagenknechts »Brandt-Nostalgie« ist vielmehr auf dessen Außenpolitik und die von ihm maßgeblich eingeleitete Politik der Aussöhnung mit dem Osten bezogen. Dadurch ist sie tatsächlich aktuell.
Wagenknechts Interpretation der Wahl Trumps in dessen Anfangszeit wurde von einigen Persönlichkeiten – z. B. Willy Wimmer – geteilt, besonders von Personen, die von den Kriegen des so »sympathischen Friedenspreisträgers« Obama (vgl. seinen kürzlichen Auftritt in Deutschland) und seiner Kriegsfurie Clinton genug hatten und die eine Politikänderung statt Weiter-so und versöhnlich klingende Worte des Wahlkämpfers Trump begrüßt hatten.
Grotesk wird Mellenthins Kritik, wenn er Wagenknecht vorwirft, dass sie im November 2016 geäußert hat, »die Briten« hätten für den Ausstieg aus der EU votiert (wofür sonst?), und dann fortfährt, dass eine Mehrheit heute, zweieinhalb Jahre danach, vermutlich den Ausgang des Referendums von 2016 korrigieren würde. Nach welchen Kriterien haben für Mellenthin Abstimmungen dann Gültigkeit, und wie lange kann man sich mit der Umsetzung des Abstimmungsergebnisses Zeit lassen?
Dass Wähler in Deutschland bei dieser Medienlandschaft und der jüngeren deutschen Geschichte habituell ihr Missvergnügen mit der Politik des Establishments lieber »rechts« zum Ausdruck bringen, macht sie nicht automatisch zu Fremdenfeinden.
Eine Politik, die versucht starre politische Fronten aufzubrechen – »Aufstehen« – kann scheitern. Ob das hier zutrifft, ist vielleicht noch nicht entschieden.
Ein nachträgliches haarspalterisches Zerpflücken notwendiger plakativer Stellungnahmen zu aktueller Tagespolitik mag den Autor zufriedenstellen, der Sache der Vermittlung einer fortschrittlichen Politik dient es nicht.