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No G20

No G20

Hamburg empfing am 7. und 8. Juli 2017 Staatschefs und Vertreter der EU zum G-20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Sie erwartete eine große und kreative Protestbewegung.

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    Gemeinsame Sache

    Das Treffen der Mächtigen läuft noch, die Staatsmacht marschiert, eine bunte und kreative Protestbewegung ist für eine friedliche und solidarische Weltordnung seit Tagen auf der Straße. Die junge Welt berichtet umfassend, mit Reportern, Fotografen und einem eigenen Filmteam vor Ort. Bei unserer Sonderredaktion in Berlin laufen die Fäden für diesen Blog und die Berichte im Print zusammen.

    Für die kleinste überregionale Tageszeitung in der Bundesrepublik – stets knapp an Kohle, Schotter, Kies und Steinen – bedeutet dies eine enorme Kraftanstrengung. Doch die antikapitalistischen Ziele des Protestes sichtbar zu machen, Berichte, Analysen und Einschätzungen aus konsequent linker Sicht zum Bild vom Hamburger Gipfel in der deutschsprachigen Öffentlichkeit beizutragen, sehen wir als eine Verpflichtung an.

    Die jW hat kein großes Medienhaus, sondern die Genossenschaft mit mehr als 2.000 Mitgliedern im Rücken. Hinein in die LPG junge Welt eG! Die Mittel für ein solches journalistisches Projekt, für den Erhalt und die Entwicklung der Zeitung überhaupt, kommen statt von Banken, Konzernen oder Parteien von unseren Leserinnen und Lesern. Jedes Abonnement, jede Spende stärkt die junge Welt als alternative Stimme. Können wir auch auf Sie zählen?

  • Nach Meinung von Angela Merkel (CDU) hat die Polizei rund um den G-20-Gipfel »exzellente Arbeit« geleistet. Das erklärte die Bundeskanzlerin am Samstag nachmittag auf der abschließenden Pressekonferenz des Treffens. Sie verurteilte die »entfesselte Gewalt«, die den Beamten von seiten einiger Protestierender entgegengeschlagen sei, und betonte, dass sie die friedlichen Proteste zu schätzen wisse. Diese seien ihr »ein Ansporn« gewesen, im Rahmen des Gipfels Ergebnisse zu erreichen.

    Opfer von Gewalt soll zudem »bei der Beseitigung der entstandenen Schäden« geholfen werden, so Merkel. Sie kündigte an, dass es hierzu eine Zusammenarbeit der Hamburger Behörden mit dem Bundesfinanzministerium geben werde. Zur Polizeigewalt äußerte sich die CDU-Politikerin nicht. Unklar ist überdies, ob jene Protestierenden, die von den Beamten verletzt wurden, Hilfe erhalten sollen.

    Merkel nahm auch zu den Ergebnissen des Gipfels Stellung. Es sei gelungen, ein gemeinsames Abschlusskommunique zu erstellen. Beim Thema Klimawandel gebe es jedoch keine einheitliche Position aller anwesenden Regierungschefs. Vielmehr sei im Text eine Passage enthalten, in der die USA ihre Ansichten darlegten, dazu eine weitere, die die Haltung aller anderen Gipfelteilnehmer festhalte. Letztere seien der Meinung, das Pariser Klimaabkommen sei unumkehrbar und müsse nun rasch umgesetzt werden.

    »Außergewöhnlich harte Verhandlungen«, so die Bundeskanzlerin, habe es auch zum Thema Handel gegeben. Grundsätzlich seien die Anwesenden dafür, »Protektionismus zu bekämpfen«. Dennoch sei es schwierig gewesen, zu einer Übereinkunft zu kommen, wie mit den angeblich vorhandenen Überkapazitäten des Stahlmarkts umgegangen werden soll. Zu dem Thema unterhält die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ein eigenes Forum. Dieses solle nun bis November einen Bericht vorlegen, welche gemeinsamen Schritte eingeleitet werden können. Im Vorfeld des Gipfels war vermutet worden, dass die USA ihren Markt mit weiteren Strafzöllen auf Stahl schließen könnten.

    Merkel kündigte zudem an, die Strategie der BRD gegenüber Afrika ändern zu wollen. »Die klassische Entwicklungshilfe allein bringt die Entwicklung in diesen Ländern nicht voran.« Künftig sollen vielmehr Verträge mit einzelnen Staaten des Kontinents geschlossen werden, die Anlagen privater Investoren begünstigen sollen. Diese Vorgehensweise könnte dem Kapital profitable Anlagemöglichkeiten schaffen – doch das sagte die Bundeskanzlerin nicht.

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    »Die Demokratie steht hier«

    Die Demonstration »Grenzenlose Solidarität statt G20« hat den Millerntorplatz erreicht. In seiner Rede sagte Jan van Aken (Partei Die Linke): »Die Demokratie steht hier«. Mit Blick auf die von der Öffentlichkeit abgeschottete und von Straßenschlachten überschattete G-20-Konferenz äußerte er: »Es geht darum, dass die Herrschaften, die dort hinten tagen, Entscheidungen treffen, die nicht demokratisch legitimiert sind.« Man habe sich durch die Geschehnisse der vergangenen Tage nicht spalten lassen.

    Die Veranstalter nennen als die Zahl von 76.000 Teilnehmern. Die jW-Redakteurin Claudia Wangerin schätzt ein: »Eine Riesendemo, selten oder nie erlebt.« Der kurdisch-internationalistische Block habe den Zug lange angeführt, berichtet sie. Vor dem kurdischen Lautsprecherwagen werde nun Halay getanzt.

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    Getrennt marschieren

    Zwei Demonstrationszüge bewegen sich durch Hamburg. Die Großdemonstration für »Grenzenlose Solidarität«, die am Deichtorplatz ist so groß, dass die Polizei zunächst keine Schätzung vornehmen wollte. Zunächst meldete dpa 20.000 Teilnehmer. Mit Sicherheit sind es deutlich mehr, gegen 15.30 sprachen die Veranstalter von 76.000 Demonstranten.

    Um 14.13 Uhr hatte die Hamburger Polizei auf Twitter verbreitet, an der Spitze des Zuges habe sich ein »schwarzer Block« gebildet. jW-Beobachter konnten das zu diesem Zeitpunkt nicht bestätigen. Auf Live-Bildern waren ein rotes Fahnenmeer und gutgelaunte, sommerlich gekleidete Leute zu sehen. Sie skandieren: »Hoch die internationale Solidarität!«

    Eine weitere Demonstration unter dem Motto »Hamburg zeigt Haltung« startete im Zentrum in der Nähe der Speicherstadt. Bürgerliche Parteien, darunter auch die in der Hansestadt regierenden SPD und Grüne, sowie die Kirchen hatten dazu aufgerufen. Zunächst versammelten sich 200 Demonstranten, später sollen nach Medienberichten bis zu 3.000 Teilnehmer mit Luftballons und Friedenstransparenten in Richtung Fischmarkt gezogen sein. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio will am Nachmittag bei der Abschlusskundgebung dieses Umzugs sprechen.

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    Polizei attackiert Demonstrationszug

    Der Demonstrationszug »Grenzenlose Solidarität statt G20« mit Zehntausenden Teilnehmern ist von der Polizei gestoppt worden. Eine Gruppe von etwa 200 Personen, die sich teilweise vermummt hatten, wurde von der Polizei in Höhe des U-Bahnhofs Rödingsmarkt in eine Seitenstraße gedrängt. Es gab offenbar einen Schlagstock- und Reizgaseinsatz. Laut Beobachtern soll der betroffene Block zuvor friedlich demonstriert haben. Die Polizei twitterte: »Einsatzkräfte gingen soeben konsequent gegen vermummte Teilnehmer im schwarzen Block vor.«

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    Klimaabkommen über Bord geworfen

    Simon Zeise

    Die US-Regierung teilte am Samstag mit, sich aus dem Pariser Klimaabkommen zu verabschieden. Die anderen 19 Mitglieder der G-20-Gruppe erklärten hingegen, die Vereinbarung »rasch« umsetzen zu wollen. Die Abkehr der USA wurde im Abschlusskommuniqué »zur Kenntnis« genommen, berichtete dpa. Dem amerikanischen Wunsch nach Neuverhandlungen wird eine Absage erteilt, indem das Abkommen als »unumkehrbar« bezeichnet wird. Als Entgegenkommen an Donald Trump wurde ein Satz aufgenommen, dass die USA eng mit anderen Ländern zusammenarbeiten und ihnen helfen wollen, »fossile Brennstoffe sauberer und wirksamer zu nutzen«. Washington will den Export von Flüssiggas steigern. Die Formulierung war besonders strittig, weil die Nutzung fossiler Energien auslaufen müsste, um die Ziele des Pariser Abkommens, unter anderem die Begrenzung des Anstiegs der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad, erreichen zu können.

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    Gespräche über Waffenstillstand in der Ukraine

    Die Friedensbewegung bekommt Zulauf: Die Staatschefs von Russland, Deutschland und Frankreich wollen ein Ende der Gewalt in der Ukraine. Es herrsche Einigkeit darüber, dass der in den Minsker Vereinbarungen angestrebte Waffenstillstand umfassend umzusetzen sei, teilte ein Sprecher der Bundesregierung am Samstag mit. Zuvor hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), der französische Präsident Emmanuel Macron und der russische Präsident Wladimir Putin getroffen. »Wir werden wahrscheinlich in den kommenden Wochen ein Normandietreffen haben«, sagte Macron am Samstag am Rande des G-20-Treffens. Im sogenannten Normandieformat beraten sich die BRD, Frankreich, Russland und die Ukraine.

    Wie ernsthaft das Bemühen der beiden westlichen Staaten ist, wird sich zeigen. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte am Freitag erklärt, an der anhaltenden Krise in der Ukraine seien sowohl Kiew als auch die russische Regierung schuld. »Aber Russland hat die Aggression begonnen.« Die Rolle Deutschlands beim Maidan-Putsch 2014, der Auslöser des Konflikts ist, brachte er nicht zur Sprache.

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    G20 einigen sich auf Stagnation

    Simon Zeise

    Die anwesenden Staats- und Regierungschefs haben am Samstag eine gemeinsame Erklärung verabschiedet. In dem »Hamburg Action Plan« heißt es, das 2014 vereinbarte Ziel, bis 2018 die Wirtschaftsleistung um zwei Prozent zu erhöhen, werde wohl nicht erreicht. Das Wachstumstempo sei derzeit »schwächer als wünschenswert, und Abwärtsrisiken bleiben bestehen«. Die Weltwirtschaft werde durch schwaches Produktivitätswachstum, Einkommensungleichheit und die Alterung der Gesellschaft gehemmt.

    Die Kritik an der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung spiegelt sich in der Erklärung wider: Die G20 bekräftigten, dass sie Wechselkurse nicht manipulieren und auf eine gezielte Schwächung ihrer Währungen verzichten wollen, mit denen sie sich unfaire Vorteile im Wettbewerb verschaffen könnten. Die G20 wollen sich laut der Erklärung zudem »bemühen, übermäßige globale Ungleichgewichte« abzubauen. Die US-Regierung hatte Berlin vorgeworfen, den Euro unterzubewerten, um sich Außenhandelsvorteile zu verschaffen. Der Internationale Währungsfonds hatte zuletzt am Donnerstag die deutschen Exportüberschüsse als unverhältnismäßig gerügt. Ein Plus in Höhe von fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) sei akzeptabel. Der Anteil der ins Ausland verkauften Waren der BRD beträgt allerdings mehr als acht Prozent des BIP.

    Für die Galerie wurde ein Fonds für Frauen aus »Entwicklungsländern« aus der Taufe gehoben, der Unternehmensgründungen fördern sollen. Eingezahlt wurden 325 Millionen Dollar – ein Tropfen auf den heißen Stein.

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    Spezialkräfte aus Österreich vor Ort

    Einsatzkräfte der Polizei aus Österreich fahren am 6.7.2017 am Rande einer Demonstration auf der Reeperbahn in Hamburg

    Rund um den G-20-Gipfel sind auch Spezialeinheiten aus Österreich zur Unterstützung der deutschen Polizei im Einsatz. So befinden sich etwa 20 Beamte des Sondereinsatzkommandos »Cobra« und 70 Beamte der Wiener Sondereinheit »Wega« in Hamburg, wie ein Sprecher des österreichischen Innenministeriums der Deutschen Presseagentur am Samstag bestätigte. Insgesamt seien rund 200 österreichische Polizisten in der Hansestadt. Die beiden Sondereinheiten seien auf derartige Risikolagen spezialisiert, sagte der Sprecher. Am Freitag seien sie auch im Schanzenviertel im Einsatz gewesen. »Die deutsche Polizei hatte uns um Unterstützung gebeten. Solange der Bedarf besteht, bleiben die Beamten in Hamburg«, äußerte der Sprecher. Das österreichische Kontingent sei der deutschen Polizei unterstellt. Seit dem 30. Juni seien die Beamten bereits im Großraum Hamburg. (dpa/jW)

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    Gipfelknast »Gesa«: Übergriff auf Anwalt

    Kristian Stemmler

    In Hamburg häufen sich die Übergriffe auf Gegner des G-20-Gipfels, Journalisten und Anwälte. Der Anwaltliche Notdienst (AND) berichtete am Samstag morgen von einer Attacke mehrerer Polizisten gegen einen Anwalt in der Gefangenensammelstelle (Gesa) im Stadtteil Neuland in der Nähe des Harburger Bahnhofs, einem für den Gipfel errichteten Knast mit 400 Haftplätzen. Dem Juristen sei von den Beamten »ins Gesicht gegriffen« worden, man habe ihm den Arm verdreht und ihn »aus der Gesa geschleift«.

    Das »Vergehen« des Anwalts: Er hatte energisch der polizeilichen Anordnung widersprochen, dass sein Mandant, ein festgenommener Gipfelgegner, sich nackt ausziehen sollte. Diese Leibesvisitationen werden laut AND immer häufiger angeordnet. Den Anwälten werde von der Polizei unterstellt, sie könnten bei den Beratungsgesprächen, die nicht überwacht werden dürfen, ihren Mandanten »gefährliche Gegenstände« zustecken. Das zeige erneut, »dass die Polizei Anwälte nicht als Garanten eines rechtsstaatlichen Verfahrens sieht, sondern als Gefahr«, erklärte der AND. »Eine Polizei, die gegen Anwälte körperlich vorgeht, die sich für ihre Mandanten einsetzen, hat jeden Bezug zum Rechtsstaat verloren.«

    Der G-20-Ermittlungsausschuss berichtete, Anwälte seien fünf Stunden lang nicht zu ihren Mandanten vorgelassen worden. Die Polizei habe die Situation genutzt, um erkennungsdienstliche Behandlungen durchzuführen, ärztliche Untersuchungen zu verschleppen und die Betroffenen in Unwissenheit über die Vorwürfe und das weitere Verfahren zu lassen.

    Von einer willkürlichen Festnahme von 73 Aktivisten berichtete die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke am Vormittag auf einer Pressekonferenz im unabhängigen Pressezentrum im Stadion des FC St. Pauli. Am Freitag morgen seien Gipfelgegner spontan aufgebrochen, um vor der Gesa zu demonstrieren. Offenbar lediglich weil sie schwarz gekleidet waren, seien sie schnell gestoppt und in die Gesa verbracht worden. Die Staatsanwaltschaft habe »flächendeckend« Haftbefehle beantragt, mit »den absurdesten Vorträgen«, so Heinecke. Den Festgenommenen sei »schwerer Landfriedensbruch« vorgeworfen worden, doch die Richter hätten keine Haftbefehle erlassen.

    Die Staatsanwaltschaft habe am Samstag morgen keine Haftbefehle mehr beantragt, dennoch seien die meisten Betroffenen noch im Gewahrsam in der Gesa, jetzt schon seit mindestens 17 Stunden. »Wir halten das für rechtswidrig«, sagte die Anwältin. Die Polizei hatte im Vorfeld des Gipfels laut Medienberichten zugesichert, dass niemand in der Gesa – die Einzelzellen dort sind etwa drei Quadratmeter groß, die Sammelzellen für fünf Personen neun – länger als zehn Stunden verbringen würde.

    Die nur für den Gipfel auf dem Nachbargelände der Gesa eingerichtete Außenstelle Neuland des Amtsgerichts Hamburg bezeichnete Heinecke als »ein Sondergericht, das G-20-Gericht«. Dort herrsche »die Atmosphäre eines in der Wüste befindlichen Kriegsgebiets. Die Justiz trägt blaue Westen, die Verteidigung rosa Westen, die Polizei gelbe Westen.« Die Polizei zeige ein Freund-Feind-Denken, das den zivilen Umgang in den provisorischen Verhandlungssälen erschwere.

    Von Repressalien gegen Journalisten berichte auch Renate Angstmann-Koch von der Verdi-Gewerkschaft Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) auf der Pressekonferenz. Im Schanzenviertel sei ein Journalist von der Polizei mit der Waffe bedroht worden. Auch hätten die Beamten mehrfach Journalisten trotz Presseausweises den Zutritt zu Einsatzorten verwehrt, so die Gewerkschafterin.

    Angstmann-Koch wisse zudem von sechs Kollegen, denen die Akkreditierung für das offizielle Medienzentrum entzogen oder verweigert worden sei. Eine Begründung sei nicht gegeben worden, ein Vertreter des Bundeskriminalamtes habe lediglich erklärt, von den Journalisten gehe eine Gefahr aus. Die dju habe den von den Maßnahmen Betroffenen versprochen, sie werde das Vorgehen im nachhinein auch gerichtlich überprüfen lassen.

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    »Die Herrschenden werden sich noch wundern«

    Die Demonstration »Grenzenlose Solidarität statt G20« findet seit 11 Uhr statt. Tausende Demonstranten marschierten mit Transparenten in Richtung Millerntor. Im Aufruf der Veranstalter (u. a. vom kapitalismuskritischen Bündnis »ATTAC«) heißt es: »Die soziale Spaltung hat dramatische Ausmaße erreicht.« Die Transparente zeigten Losungen wie »Gegen Polizeigewalt«, »Kapitalismus zerstören«, »Stop TTIP« und ein Konterfei des amerikanischen Präsidenten mit dem Satz »Wanted for War Crimes«.

    »Wir stehen jetzt hier für Forderungen«, denn soziale und ökologische Fragen würden beim G-20-Gipfel nicht verhandelt. Die Polizei stehe am heutigen Tag wohl wieder in so kräftiger Montur da, »um gleich zu strippen«, erklärte ein Demosprecher kurz nach 13 Uhr von der Bühne in unmittelbarer Nachbarschaft des Gebäudes der neoliberalen Nachrichtenillustrierten Der Spiegel und des staatlichen Senders ZDF an der Ericusspitze. Schon bei der Demo »Lieber tanz' ich als G20« am Mittwoch abend habe es 20.000 Teilnehmer gegeben. Ein Redner Interventionistischen Linken erklärte: »Die Herrschenden werden sich noch wundern, genauso wie die Männer sich gewundert haben, als die Frauen das Wahlrecht erkämpft haben.«

    Man kann davon ausgehen, dass sie sie sich jetzt schon wundern – weltweit. Die Demonstrationen laufen seit vergangenen Sonntag, Hamburg befindet sich in einer historischen Situation.

    Auch ein Vertreter der KP Irans war zu Wort gekommen. »Wir sind stolz, Teil des Protestes gehen G20 zu sein«, sagt er. Und: »Wir haben keine Zweifel, dass eine andere Welt möglich ist«. Maria Tilano von der mexikanischen Bewegung gegen Nafta, das Nordamerikanische Freihandelsabkommen erklärte in ihrer Ansprache, G20 sei eine »perverse neoliberale Allianz«. Die Kovorsitzende der Partei Die Linke, Katja Kipping, sagte: »Wir entscheiden uns für Klimaschutz und gegen Kapitalismus, denn wir haben keinen Planeten B.« Man sei einhellig für einen demokratischen Sozialismus. Der Vertreter des Hamburger Forums (Friedensbewegung) äußerte unter Zustimmung des Publikums, der größte Teil der hier versammelten Staatschefs müsste von Hamburg direkt vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gebracht werden.

    Nach Angaben der jW-Redakteure vor Ort ist der kurdische Block mit mindestens 2.500 Teilnehmern vertreten. Der Sankt-Pauli-Block sei mittags bereits mit 300 bis 400 Leuten anwesend. Es ist eine sehr entspannte Demo, obwohl viel mehr Leute gekommen sind, als zu diesem Zeitpunkt erwartet wurden. Die genaue Zahl lässt sich noch nicht schätzen, auch Polizei- und Veranstalterzahlen liegen noch nicht vor.

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    Papst lässt’s krachen

    Das Oberhaupt der katholischen Kirche, Papst Franziskus, hat sich mit Blick auf den G-20-Gipfel in Hamburg besorgt über Allianzen mächtiger Staaten gegen Arme und Flüchtlinge geäußert. »Ich befürchte, dass es sehr gefährliche Bündnisse zwischen den Mächtigen gibt, die eine verzerrte Wahrnehmung von der Welt haben«, erklärte der oberste Katholik im Gespräch mit der italienischen Zeitung La Repubblica in der Ausgabe vom Samstag. Die Gefahr betreffe vor allem Migranten, deren Aufnahme einige Länder der Welt verweigerten, habe Franziskus gesagt. In einer Nachricht an G-20-Gastgeberin Angela Merkel hatte der Argentinier zum Auftakt des Gipfels am Freitag an die Teilnehmer appelliert, den Armen in politischen Entscheidungen »absoluten Vorrang« einzuräumen. Mit seiner Sozialenzyklika »Laudato si’« aus dem Jahr 2015 hatte sich Franziskus offen und eindeutig als vergleichsweise kämpferischer Herz-Jesu-Kommunist zu erkennen gegeben. Die Veröffentlichung war daraufhin in der Darstellung der bürgerlichen und christlichen Presse auf Natur- und Umweltfragen reduziert worden. (dpa/jW)

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    Die Scharfmacher

    Simon Zeise
    Jens Spahn, CDU-Präsidiumsmitglied

    Die Polizei rückte am Freitag abend in Hamburg aus, als zöge sie in den Bürgerkrieg. Die bürgerlichen Parteien hatten die Täter umgehend in der Bevölkerung ausgemacht. »Diese extremistischen Kriminellen gehören nicht auf die Straße, sondern vor Gericht«, erklärte Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) am Samstag in Berlin. Wer Polizisten verletze und Autos anzünde, »hat keine Toleranz verdient«.

    Die Union drehte völlig frei. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer posaunte: »Der linke Mob muss ausgehoben werden, das muss ein Nachspiel haben«, tönte es am Samstag aus Viechtach in der tiefen bayrischen Provinz.

    Der Wasserträger Wolfgang Schäubles im Bundesfinanzministerium, Staatssekretär Jens Spahn (CDU), schrieb bei Facebook am Samstag: »Diese vermummten Linksfaschisten zerstören die Autos von Familien, Azubis, Bürgern, sie verletzen Menschen und skandieren Hass. Und zur Belohnung gibt es Applaus von den Linken und eine verständnisvolle Berichterstattung im öffentlich-rechtlichen.«

    Einsichtig zeigte sich hingegen der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl. »Man hätte den G-20-Gipfel nie in einer Millionenstadt wie Hamburg veranstalten dürfen. Die Sicherheitslage ist dort viel zu schwer zu kontrollieren«, äußerte er gegenüber Bild. Dem schloss sich der Bund Deutscher Kriminalbeamter an: »Die Politik trägt die alleinige Verantwortung für die zahlreichen verletzten Polizeibeamten und die Zerstörung in der Stadt«, sagte der Hamburger Vorsitzende Jan Reinecke dem Spiegel.

    Zufrieden zeigte sich US-Präsident Donald Trump am Samstag: »Es war wirklich unglaublich, wie die Dinge hier angegangen wurden. Nichts davon war einfach. Aber so professionell. Und ohne große Störung, abgesehen von einer ganzen Menge Leute.«

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    »Polizei wollte andere Bilder«

    Am Donnerstag hat die Polizei die Eskalationsspirale in Gang gesetzt

    Der Leiter des kommunalen Zentrums »Rote Flora« im Hamburger Schanzenviertel erklärte am Samstag morgen im Gespräch mit dem NDR-Fernsehen, wie es zu einer »gewollten Eskalation« durch die Polizei am Donnerstag nachmittag kommen konnte, die bis in die Nacht zum Freitag andauerte. »Die Polizei wollte andere Bilder«, betonte Andreas Blechschmidt, und habe wie erwartet die Demonstrierenden angegriffen. Sie habe außerdem Vermittlungsversuche der Veranstalter beeinträchtigt.

    Blechschmidt hatte die Demonstration »Welcome to Hell« angemeldet. Die Versammlung hatte mit Konzerten und Reden am Hamburger Fischmarkt am Donnerstag um 16 Uhr begonnen und war planmäßig ab 19 Uhr in Richtung der Messehallen gezogen, wo die Staats- und Regierungschefs unter Abschottung von der Öffentlichkeit derzeit ihr G-20-Treffen abhalten. Schon nach wenigen hundert Metern war der Demonstrationszug mit laut Blechschmidt 12.000 Teilnehmern auf der Sankt-Pauli-Hafenstraße von behelmten und gepolsterten Polizeitruppen gestoppt, geteilt und teilweise eingekesselt worden. (jW)

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    Durchsuchung des Internationalen Zentrums

    Laut Legal Team hat die Polizei am Samstag um 11 Uhr im Internationalen Zentrum B5 in Hamburg-St.Pauli in der Brigittenstraße, wo die jW-Reporter in dieser Woche immer herzlich willkommen waren und das jW-Videoteam auch arbeiten durfte, eine Durchsuchung durchgeführt. Über die Folgen dieser Polizeimaßnahme ist noch nichts bekannt.

    Gegen Mittag äußerte sich Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer im NDR zur Razzia auf St. Pauli. Es gäbe »Hinweise darauf, dass an bestimmten Stellen schwere Straftaten vorbereitet werden«. Daher würden derzeit mehrere »gefahrenabwehrende Durchsuchungen« durchgeführt.

    Laut Hamburger Abendblatt haben die Beamten einer niedersächsischen Sondereinheit der Bereitschaftspolizei Türen und auch Fenster des internationalen Zentrums aufgebrochen. Widerstand sei nicht geleistet worden. Auch Bombenentschärfer der Staatsschutzabteilung seien an dem Einsatz beteiligt gewesen.

    Der Ermittlungsausschuss/Legal Team ist erreichbar unter der Nummer: +49(0)40 432 78 778
    Diese Nummer ist kein Infotelefon.

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    Auftakt zur »Grenzenlosen Solidarität«

    Die Großdemonstration »Grenzenlose Solidarität statt G20!«, die gegen 11 Uhr an den Deichtorhallen begann, verläuft friedlich. Die Polizei hält sich laut Beobachtungen der jW-Reporter vor Ort zurück. Teilnehmer aus verschiedensten Spektren sind dabei – viele führen Fahnen oder Transparente mit. Es hören bereits mehrere zehntausend Menschen den Redebeiträgen zu, immer mehr Demonstranten strömen vom Hauptbahnhof zum Platz.

    Die Auftaktkundgebung beginnt mit dem Redebeitrag einer Vertreterin des kurdischen Frauenrats Rojbin Hamburg. Dann begrüßt Kerstin Rudek von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg die Teilnehmer. Sie ruft dazu auf, das Recht auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit zu verteidigen. Eine soziale Welt sei nur ökologisch möglich, betont sie.

    Die afghanische Frauenrechtlerin Malalai Joya sagt, dass das Morden seit der NATO-Intervention in Afghanistan weitergeht. Sie fordert: Keine Abschiebung afghanischer Refugees. Taliban, IS und andere Dschihadisten seien Produkte der Politik von G-20-Staaten, so Malalai Joya. Applaus brandet auf als Joya ruft: »Hoch die internationale Solidarität, US und NATO raus aus Afghanistan!«

    Es folgt die Auschwitz-Überlebende und engagierte Antifaschistin Esther Bejarano. Auch sie grüßt alle Teilnehmer herzlich, »weil ihr dem Unrecht und der Unvernunft des Kapitalismus nicht tatenlos zuschauen wollt«, wie sie erklärt. Bejarano spricht von der Vergiftung der Umwelt, von Kriegen und Waffenhandel. Hamburg habe sich mit dem Gipfel übernommen und sich »würdelos gegenüber den protestierenden Gästen verhalten«. Bejarano spricht auch von Neonazigewalt in Deutschland. Sie trauere um die Opfer des NSU ebenso wie um die Opfer von Terroranschlägen in Paris, London, die Opfer der Kriege im Nahen Ostens und um die auf der Flucht im Mittelmeer Ertrunkenen. Bejarano bekommt Riesenapplaus, als sie sagt: »Ich glaube an euch«. (jW)

  • · Berichte

    Trittbrettfahrer der Revolte. Kommentar

    Peter Steiniger

    Angela Merkels Einladung zu den Chaostagen an der Alster wurde angenommen. Die bestellten Bürgerkriegsszenen sind abgedreht, den Soundtrack lieferte die Elbphilharmonie mit klassischen Akkorden für die illegitime Weltregierung und ihr Gefolge. Am Morgen danach liegt noch der Brandgeruch der abgefackelten Barrikaden, Mülltonnen und Autos über dem Hamburger Schanzenviertel, auf seinen Straßen das Glas der Schaufenster vandalierter Geschäfte. Mach kaputt, was dich kaputt macht? Die heile Welt der Schickeria in den noblen Ecken der Stadt erschüttert das nur wenig.

    Die Gewaltorgie von Autonomen hat nicht nur politische Motive. Doch sie ist ein Produkt dieser Gesellschaft. Deren Bodensatz kam hoch. Der Riot spiegelt ihre eigene repressive Machokultur wider und die Frustration, die sie bei den Abgehängten und Deklassierten erzeugt. Das moderne Lumpenproletariat marodierte. Es wird auch das eine oder andere wildgewordene Bürgersöhnchen dabei gewesen sein. Eine Mischung, die schon oft benutzt wurde, um der organisierten Linken Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

    Während von Hamburgs Oberen viel Energie darauf verwendet wurde, auch mit offenen Rechtsbrüchen zu verhindern, dass politische Aktivisten dort ihre Zelte aufschlagen, konnten Krawalltouristen ungehindert anreisen. Diese Spezies kennt man auch von den Events der Berliner Spaßpolizei zum 1. Mai. Dass besoldete Provokateure im Mob, darunter viele guttrainierte junge Männer, beim Marodieren mitmischten, darf man aus Erfahrung annehmen. Es fällt auf, dass die Polizeiführung, die in der Hansestadt zum Gipfel eine ganze hochgerüstete Armee aufbietet, das Geschehen im Schanzenviertel über Stunden dem Selbstlauf überließ. Das Chaos durfte sich entfalten.

    Die rote Front und die schwarze Front sind wir: Unser Gegner ist nicht der kleine Ladenbesitzer, nicht der Halter eines Autos, auch nicht der einzelne Polizist – sondern der Klassenstaat. Dieser ist es, der in Hamburg Krieg spielt. Dabei geht weit mehr kaputt als ein paar Scheiben oder Baugerüste. Dort plündert er die demokratischen Rechte.

    Die Lunte für den Knall im Schanzenviertel haben die politisch Verantwortlichen und die Polizeiführung gelegt. Er wurde herbeiprovoziert. Demonstranten sollen dem Gummiknüppel auch noch die linke Wange hinhalten. Einwohner und Aktivisten wurden von der ersten Minute an drangsaliert und misshandelt. Das schürt Wut, die sich auch blind entlädt. Die Polizisten, Arbeitende im Bereich der öffentlichen Sicherheit, werden für eine Machtdemonstration missbraucht. Manche nicht ungern.

    Die Freunde von Kopf-ab-Diktaturen und neoliberalen Polizeistaaten rufen nun nach der harten Hand. Heute rufen sie nach Gummigeschossen und der Schließung linker Zentren. Und morgen nach Schutzhaft? Wer Bomben fallen lässt und daran Spaß hat, ist Staatsgast. Wer Böller zündet, Terrorist? Es ist zu hoffen, dass etwas vom Gestank brennender Mülltonnen auch zu den Messehallen zieht und in die Nasen derer kriecht, die auf dieser Welt die wirklich großen Feuer legen.

  • · Videos

    Randale im Schanzenviertel

    Ein Mitarbeiter des jW-Filmteams wurde am Freitag Opfer eines Überfalls. Deshalb können wir in diesem Clip nur Aufnahmen zeigen, die am Freitag abend, etwa zwischen 21 und 23 Uhr, entstanden sind. Eine Dokumentation der Ereignisse in der Nacht sowie der Erstürmung des Schanzenviertels durch die mit Schnellfeuergewehren ausgerüsteten Spezialeinheiten der Polizei war uns in diesem Video nicht möglich. (jW)

  • · Pressespiegel

    Polizei hindert Sanitäter am Helfen

    Mit Schnellfeuergewehren stürmten Spezialkräfte das Schanzenviertel

    Der Ermittlungsausschuss (EA) kritisiert in einer aktuellen Pressemitteilung die Behinderung der Arbeit von Sanitätern und anderen Rettungskräften während des Polizeieinsatzes der vergangenen Nacht im Hamburger Schanzenviertel. Wir dokumentieren das Statement nachstehend im Wortlaut:

    Nach dem Eröffnungstag des G-20-Gipfels verlor die Polizei in der Nacht auf den 8. Juli vollends die Kontrolle über Teile Hamburgs. Und das, obwohl zusätzlich zu den bereits eingesetzten mehr als 15.000 Polizist*innen noch weitere Verstärkung aus anderen Bundesländern angefordert und bewilligt wurde. Weder die mehr als 20 Wasserwerfer noch die eingesetzten Räumpanzer, weder das massenhaft versprühte Reizgas noch die Knüppel und Fäuste konnten die Lage unter Kontrolle bringen. Zuletzt setzte die Hansestadt sogar schwerbewaffnete Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung gegen die eigene Bevölkerung ein.

    Nach Mitternacht drang ein mit Maschinenpistolen bewaffnetes Spezialeinsatzkommando in ein Haus Beim Grünen Jäger ein, wo Demosanitäter*innen gerade Verletzte behandelten. Eine Person war so schwer verletzt, dass die Demosanis sie in ein Krankenhaus bringen wollten. Den Demosanis wurde mit Maschinenpistole im Anschlag »Hände hoch!« zugerufen und unmissverständlich bedeutet, dass andernfalls von der Schusswaffe Gebrauch gemacht werde. Anschließend wurden die Demosanitäter*innen einzeln aus dem Haus geholt, mittlerweile sind alle wieder frei. Die verletzte Person durfte nach Verhandlungen mit der Polizei zum Rettungsdienst gebracht werden.

    Aber nicht nur auf der Straße geht die Polizei mit Gewalt gegen alle vor, die sich ihr widersetzt. In der Gefangenensammelstelle in der Schlachthofstraße in Hamburg-Harburg wurde in der Nacht auf den 8. Juli ein Rechtsanwalt von drei Polizist*innen misshandelt. Der Anwalt hatte darauf bestanden, dass sein Mandant sich nicht ausziehen müsse, woraufhin mehrere Polizist*innen den Rechtsanwalt packten, ihm ins Gesicht griffen, den Arm verdrehten und ihn aus der Gefangenensammelstelle schleiften. Diese Vorfälle werden vor allem eines produzieren: Mehr Hass auf die Polizei.

    https://g20ea.blackblogs.org/2017/07/08/ganz-hamburg-hasst-die-polizei/